Ein plötzlicher Todesfall
Goldsandalen wirkten, wie Kay fand, nuttig. Samantha kam ihr wie eine dieser Frauen vor, die mit kreischenden Mädels um die Häuser zogen, Stripperboten zum Totlachen fanden und auf Partys betrunken mit den Partnern aller anderen Frauen flirteten.
»Hallo«, sagte Samantha. Sie küsste Gavin und lächelte Kay an. »Prima, ihr habt schon was zu trinken. Ich nehme dasselbe wie Kay, Miles.«
Sie wandte sich ab, um sich zu setzen, und hatte bereits mit einem Blick das Aussehen der anderen Frau eingeschätzt. Kay hatte kleine Brüste und ausladende Hüften, und ihre schwarze Hose war sicherlich mit Bedacht gewählt, um die GröÃe ihres Hinterns zu kaschieren. Nach Samanthas Auffassung wäre es besser gewesen, wenn Kay sich wegen ihrer kurzen Beine für Pumps entschieden hätte. Ihr Gesicht war einigermaÃen anziehend, mit der gleichmäÃig olivfarbenen Haut, den groÃen dunklen Augen und den vollen Lippen, doch die männliche Kurzhaarfrisur und die praktischen flachen Schuhe waren mit Sicherheit ein Zeichen dogmatischer Ansichten. Gavin hatte es wieder getan, er hatte sich die nächste dominante Frau gesucht, die ihm das Leben zur Hölle machen würde.
»Also«, sagte Samantha strahlend und hob ihr Glas. »Auf die traute Zweisamkeit!«
Genüsslich sah sie, wie Gavin zusammenzuckte, doch bevor sie ihn weiterquälen oder Persönliches aus ihnen herausholen konnte, um es Shirley und Maureen unter die Nase zu reiben, klingelte es wieder an der Haustür.
Mary wirkte verletzlich und abgemagert, vor allem neben Miles, der sie ins Zimmer führte. Ihr T-Shirt schlabberte an ihren vorstehenden Schulterknochen.
»Oh«, sagte sie und blieb verblüfft auf der Türschwelle stehen. »Ich wusste nicht, dass ihr â¦Â«
»Gavin und Kay sind gerade vorbeigekommen«, sagte Samantha ein bisschen wirr. »Komm rein, Mary, bitte. Trink was mit uns â¦Â«
»Mary, das ist Kay«, sagte Miles. »Kay, darf ich dir Mary Fairbrother vorstellen?«
»Oh«, sagte Kay, aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie hatte angenommen, sie würden nur zu viert sein. »Ja, hallo.«
Gavin merkte, dass Mary nicht damit gerechnet hatte, in eine Dinnerparty zu platzen, und kurz davor war, auf dem Absatz kehrtzumachen. Er klopfte auf das Sofa neben sich, und Mary sank mit einem schwachen Lächeln nieder. Er war auÃerordentlich froh, sie zu sehen. Hier war sein Puffer. Selbst Samantha musste wissen, dass ihre üblichen Anzüglichkeiten in Anwesenheit einer trauernden Frau unpassend waren. AuÃerdem war die beengende Symmetrie einer Vierergruppe dadurch aufgebrochen.
»Wie geht es dir?«, fragte er leise. »Ich wollte dich eigentlich anrufen. Mit der Versicherung hat sich einiges getan.«
»Haben wir denn nichts zum Knabbern, Sam?«, fragte Miles.
Samantha ging hinaus, kochend vor Wut auf Miles. Als sie die Küchentür öffnete, schlug ihr der Geruch von angebranntem Fleisch entgegen.
»Oh ScheiÃe, ScheiÃe, ScheiÃe â¦Â«
Sie hatte den Eintopf, der inzwischen zusammengefallen war, total vergessen. Eingetrocknete Fleischbrocken und Gemüsestücke lagen wie Ãberlebende der Katastrophe auf dem angesengten Boden des Schmortopfs. Samantha kippte Wein und Brühe darüber, kratzte die festgeklebten Stücke mit dem Löffel vom Boden, rührte heftig und geriet von der aufsteigenden Hitze ins Schwitzen. Milesâ hohes Lachen drang aus dem Wohnzimmer. Samantha setzte langstieligen Broccoli zum Dämpfen auf, trank ihren Wein aus, riss einen Beutel Tortilla-Chips und einen Becher mit Hummus auf und kippte beides in Schalen.
Mary und Gavin unterhielten sich nach wie vor leise auf dem Sofa, als Samantha ins Wohnzimmer zurückkehrte, während Miles dabei war, Kay ein gerahmtes Luftbild von Pagford zu zeigen und sie in die Geschichte der Stadt einzuführen. Samantha stellte die Schalen auf den Couchtisch, schenkte sich das Glas wieder voll, nahm auf einem Sessel Platz und machte keine Anstalten, sich an einem der Gespräche zu beteiligen. Mary hier zu haben war furchtbar unangenehm. Die Trauer umfing sie so sichtbar, als hätte sie sich in ein Leichentuch gehüllt. Vor dem Essen würde sie doch bestimmt gehen.
Gavin war entschlossen, Mary zum Bleiben zu bewegen. Während sie über die neuesten Entwicklungen in ihrem andauernden Kampf mit der Versicherungsgesellschaft sprachen,
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