Ein Prinz wie aus dem Maerchen
…"
"Bitte
verzeihen Sie die Störung." Latifs ruhige Stimme ertönte
ganz in der Nähe, er war aber nicht in Sichtweite. "Ich
stehe vor Ihrem Schlafzimmer und könnte mich – Ihr
Einverständnis vorausgesetzt – von hier an Sie wenden."
Faye
spähte durch den Spalt im Vorhang. Latif hatte gesagt, er stehe
vor ihrem Schlafzimmer, aber sie befand sich in einem Zelt! In einem
unglaublich großen und gut ausgestatteten Zelt zwar, aber
dennoch in einem Zelt. Offenbar hatte Tariq beschlossen, sie zu
seinem Stammestreffen mitzunehmen, statt sie nach Muraaba
zurückzuschicken.
"Ja
…" Sie zögerte, weil ihre Aufmerksamkeit von den
Wandbehängen gefesselt wurde, die die Leinwand vor ihrem Blick
verbargen. Perserteppiche bedeckten den Boden und schufen zusammen
mit dem schimmernden Holz der Möbel eine behagliche Atmosphäre.
Shiran
zog sich diskret zurück, und Latif meldete sich erneut zu Wort:
"Prinz Tariq hat seit vielen Stunden nicht mehr geschlafen.
Während der Nacht hat er die Opfer des Sandsturms besucht."
"Wurden
viele Menschen verletzt?" Faye war blass geworden.
"Es
freut mich, dass Sie sich danach erkundigen. Der Sturm hat in der
Wüste am schwersten gewütet, aber in der Stadt wurden
einige Personen von herabfallenden Steinen oder umherfliegenden
Gegenständen getroffen. Außerdem gab es etliche
Verkehrsunfälle. Alles in allem haben wir drei Tote zu beklagen,
wesentlich weniger, als wir befürchtet hatten. Um seiner eigenen
Gesundheit willen sollte Seine Königliche Hoheit jetzt ruhen.
Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie ihm diesen Vorschlag
unterbreiten würden."
"Wenn
ich Prinz Tariq sehe, will ich es gern versuchen."
Sie
sollte Tariq überreden, ins Bett zu gehen? Faye wunderte sich,
dass Latif sich ausgerechnet an sie wandte. Außerdem war es ihr
peinlich, dass er wie selbstverständlich annahm, sie habe ein
intimes Verhältnis mit Tariq.
Noch
war zwischen ihnen nichts passiert, doch die Situation würde
sich sicher bald ändern. Widerstrebend stellte Faye sich den
Tatsachen: Sie saß für unabsehbare Zeit in Jumar fest und
war der Gnade eines Mannes ausgeliefert, der genau wusste, wie
jämmerlich es um ihre Selbstbeherrschung bestellt war.
In
diesem Moment hörte sie Geräusche und Flüstern,
gefolgt von Tariqs tiefer, befehlsgewohnter Stimme. Gleich darauf
wurden die Bettvorhänge geöffnet, und Tariq erschien.
"Deine Zofen wollen dich unbedingt vor allen Männeraugen
verbergen – sogar vor meinen. Ich habe zehn Minuten gebraucht,
um dich zu finden." Obwohl er erschöpft wirkte, seine
dunkle Haut fahl war und die Anstrengung sich auf seinen markanten
Zügen spiegelte, leuchteten seine Augen so strahlend wie immer.
"Du
trägst keine Landestracht?" Mit klopfendem Herzen schaute
sie ihn an. In dem maßgeschneiderten dunklen Anzug sah Tariq
einfach sensationell aus.
"Die
Roben werden nur bei offiziellen Anlässen und in der Wüste
getragen, weil sie dort einfach praktischer als westliche Kleidung
sind. Gestern in der Haja habe ich die wöchentliche Majilis
abgehalten, so etwas wie eine Sprechstunde für mein Volk. Die
Leute tragen mir ihre Streitigkeiten vor, damit ich die Sache
schlichte, oder beklagen sich über Ungerechtigkeiten. Ich nehme
den Platz eines Richters ein."
Eine
Hand auf den Bettpfosten gestützt, betrachtete er sie voller
Verlangen. Dann ließ er den Blick über ihre geröteten
Wangen, die samtige Haut ihrer Schultern, die schmalen Träger
ihres Nachthemds gleiten und spöttisch auf dem Laken verweilen,
das sie noch immer unter die Arme geklemmt hatte. Das sinnliche
Knistern zwischen ihnen war förmlich spürbar.
"Du
konntest mich nicht finden? Dies ist ein Zelt …"
Verzweifelt versuchte Faye, ihn abzulenken.
"Ein
Zelt, das fast einen Hektar umfasst." Er setzte sich zu ihr aufs
Bett. "Ein Zeltpalast, der häufig benutzt wird. Wir sind
ein Wüstenvolk, und der Wunsch, einengenden Steinmauern zu
entfliehen, brennt noch immer in uns. Mein Vater pflegte hier draußen
monatelang mit weitaus weniger Komfort zu leben. Er schickte nach
einer Frau, wann immer ihm der Sinn danach stand …"
"Er
schickte nach einer Frau?" wiederholte Faye fassungslos.
Tariq
zog sanft, aber beharrlich am Laken. "Du wirkst so schockiert.
Bevor er meine Mutter heiratete, hatte mein Vater mindestens hundert
Konkubinen. Sex zwischen den Geschlechtern war damals bemerkenswert
problemlos. Er gehörte so selbstverständlich zum Leben
meines Volkes, dass man kein Wort oder besonderes Interesse
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