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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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Paß
in die hintere Gesäßtasche und begebe mich auf die Reise in die Pyrenäen.
     
     

Stierkampf in Bayonne
     
    Auf den weiten Feldern der
Ganadería, der Zucht, schweift er: der König der Herde. Er weiß nicht, daß er
sechstausend Francs kostet — aber daß er der unumschränkte Kaiser ist, der
Alleinherrscher über die Jüngern und über alle Kühe — das weiß er. Er sieht
keinen Menschen. Er läuft, wenn ihn die Lust ankommt, durch das saftige Gras,
über kurzgebrannte Stoppeln, er wälzt sich in duftigem Heu, grast, äugt... So
vergehen die Jugendjahre — fern in einer Stadt lebt schon der, der ihn einst
töten wird. Er zieht die herbe Luft ein, die von den Bergen herunterweht, und
brüllt.
    Eines Tages kommen sie auf
Pferden und mit dressierten Ochsen, den verschnittnen, dumpfen Ex-Stieren. Die
wilde Herde wird getrieben, er wird abgesondert, er läuft mit den Städtern
mit... Und findet sich in einem Waggon wieder, in einem dunkeln, rollenden
Stall. Von der Bahnrampe aus trottet die Herde, sorgfältig vor Neckereien
beschützt, zu einem runden, hohen Haus. Vierundzwanzig Stunden steht er allein
im Verschlag, gereizt, unruhig. Nachmittags um vier Uhr vierzig öffnet sich die
Tür, die grelle Sonne scheint herein, er stürzt heraus... Und steht in der
Arena.
     
    Während sie ihn geholt hatten,
war ich über Bordeaux gerollt, wo ich zum ersten- und letztenmal auf dieser
Reise, im Chapeau Rouge, ein ernsthaftes Abendessen zelebrierte, mit einem
Rotwein, weich wie Samt; fort von Bordeaux, über die große Garonnebrücke hinweg
— nach Bayonne. Sonntag? Sonntag ist Stierkampf.
    In Paris hatten sie sich im
vergangenen Jahr sehr groß getan: es bestände ein Gesetz, wonach in Frankreich
der Stierkampf mit Pferden und Tötung des Stiers verboten wäre — und wenn die
Leute aus der Provence oder sonstwoher im pariser Buffalo Stierkämpfe vorführen
wollten, so dürften sie das keineswegs in der blutigen Ausgabe tun. Das taten
sie auch nicht. Sie begnügten sich mit den provenzalischen Stierspielen — da
bleibt der Stier am Leben. Bayonne aber liegt so nahe an der spanischen Grenze,
daß die bunte Farbe, womit auf den Atlanten Spanien angemalt ist, abgefärbt zu
haben scheint; es sind auch so viel Fremde da, vorzüglich Spanier... In Lille,
wo niemand den Wunsch danach verspürt, darf man nicht stierkämpfen, in Paris
auch nicht. In Bayonne darf man.
    Die hohe runde Arena liegt im
Nordosten, etwas außerhalb der Stadt — ich war noch gar nicht recht zur
Besinnung gekommen, wo ich denn eigentlich wäre, Fluß und Brücke (die Adour)
lagen schon hinter mir, da war schon die ganze Stadt auf den Beinen und rollte,
lief, spazierte, hupte und kutschierte zur Arena. Die Sonne schien nicht, der
Himmel war gefleckt blau und grau, die gesteckt volle Straße roch nach Staub
und Blut.
    Haben die Römer in ihren Arenen
auf Steinstufen gesessen? Auch sie werden sich weiche Unterlagen mitgebracht
haben — man kann Kissen mieten. Alle Welt klettert mit den kleinen Kissen über
die Stufen, nimmt Platz, winkt, ruft, lacht... Eine schauerliche ‹banda›, die
vorher rotbemützt die Stadt durchblasen hat, trompetet sich die Seele aus dem
Hals. Stille. Tusch! Der ‹Präsident› hat seine Loge betreten.
    Jeder Stierkampf geht unter dem
‹Präsidium› irgendeines Mächtigen vor sich — in Madrid ist es der König mit der
Unterlippe, in den großen spanischen Provinzstädten der Präfekt, in den kleinen
der Bürgermeister oder irgend ein uniformiertes Stückchen General — ihm und
seiner Familie weihen die Kämpfer den Stier und das Spiel, die Geschicklichkeit
und den Tod.
    Der Herr Marquis ist mit seinen
Damen aus Biarritz im Auto herübergekommen, nun tritt er an die Brüstung seiner
Loge, die im Rang liegt, nimmt mit einer steifen Armbewegung den grauen
Zylinder ab und begrüßt das Volk. Aber es ist ganz ausgeschlossen, daß der
Filmregisseur Ernst Lubitsch diesen Mann auch nur dreißig Meter lang einen
Grafen spielen ließe — er würde ihm vielleicht das Stativ zu tragen geben, aber
als Komparse: nichts zu machen. Es ist so viel kleine Provinzeitelkeit auf
diesem zerlederten Gesicht, der Ritter ist von seinem Schloß heruntergestiegen
und begrüßt die lieben Leibeignen... Die Leibeignen vollführen einen großen
Lärm und schwenken mäßig begeistert die Hüte. Der Graf aus Spanisch-Bautzen
setzt sich. Es darf anfangen.
    Die Truppe hält ihren Einzug.
Es ist etwas kümmerlich damit, gar so viel sind’s nicht,

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