Ein reiner Schrei (German Edition)
Schüler.
Alle marschierten wieder zurück in ihre Klassenräume. Wenig später, kurz vor der großen Pause, war der Unterricht bereits zu Ende und sie wurden in die Osterferien entlassen. Shell packte ihre Sachen zusammen und schwebte in einem göttlichen Zustand der Gnade durch die lärmende Menge der Schüler, die sich durch die Korridore und über den Schulhof drängten.
Draußen auf der Straße wartete Bridie auf sie.
Sie sprang auf Shell zu, ihre Arme schlugen auf sie ein. Sie riss an Shells Haaren und boxte ihr mitten ins Gesicht.
»Du!«, sagte sie. »Du!«
Shell hob ihre Arme und dachte daran, wie Jesus bei dem Besessenen den Satan ausgetrieben hatte.
»Bridie!«, schrie sie. »Ich bin es. Ich bin’s doch bloß.« Sie packte Bridies Hand, aber Bridie wand sich wieder frei, versetzte ihr einen Schlag und brach in Tränen aus.
»Was ist denn passiert?«, fragte Shell und versuchte sie zu berühren.
Bridie stieß sie fort. »Du bist passiert. Du. Du Betrügerin. Du Hure. Du!«
Shell war kurz davor, selbst loszuheulen. »Das bin ich nicht!«
»Bist du wohl«, sagte Bridie. »Ich hab dich gesehen. Gestern. Mit ihm. Du hast ihn verführt. Dich zu küssen. Dabei geht er mit mir!« Sie packte Shell an der Bluse und riss daran. »Wo ich dir sogar den BH geschenkt hab! Aber den hole ich mir wieder!«
Schläge und Tritte prasselten auf Shell ein. Ein Knopf löste sich. Sie kniete auf dem Bürgersteig, legte schützend die Hände über den Kopf, betete zu Jesus, dass er Bridie aufhören ließ.
Und er tat es. Wie aus dem Nichts erschien Pater Rose.
»Aufhören«, sagte er. »Was geht hier vor?«
Bridie hielt inne. Sie versetzte Shell einen letzten Tritt, dann ergriff sie die Flucht.
Shell richtete sich langsam wieder auf. Pater Roses Augenbrauen hoben sich, als er erkannte, wer es war.
»Shell«, sagte er, in seinem typischen Tonfall, als wäre er gerade in Gedanken. Sie stand auf und richtete ihre zerrissene Bluse.
»Bist du in Ordnung?«
Sie nickte.
»Wer war das, die dich da angegriffen hat?«
Fast hätte sie gesagt: Bridie Quinn. Dann aber dachte sie an ihre jahrelange Freundschaft. »Bloß irgendein Mädchen.«
»Schlägt sie dich öfter?«, fragte er.
Shell schüttelte den Kopf. »Eigentlich sind wir Freundinnen.«
»Wirklich?«
»Wirklich.«
Sie standen auf der Straße. Shell spürte, wie sich an ihrem Ellbogen ein Bluterguss bildete, an der Stelle, wo sie auf den Boden aufgeschlagen war. Sie biss sich auf die Lippen, riss sich zusammen, um nicht zu weinen. Pater Rose musterte sie mit einer Sorgenfalte im Gesicht, strich sich mit der Hand über sein stoppeliges Kinn. Autos fuhren vorbei. Es begann zu nieseln.
»Komm«, sagte er. »Ich fahre dich nach Hause.«
»Ich muss Jimmy und Trix von der Grundschule abholen.«
»Dann fahre ich dich eben dorthin.«
Er führte Shell den Bürgersteig hinunter zu der Stelle, wo sein Auto parkte, eine uralte Schrottmühle in Violett. »Lach bitte nicht«, sagte er, als er sah, wie Shell es anstarrte.
»Ich dachte, es wäre schwarz«, sagte sie.
»Warum?«
»Wie die Sachen, die Sie tragen. Oder weiß vielleicht. Wie Ihr Kragen.«
»Es war ein Schnäppchen, fast geschenkt. Zuerst mochte ich die Farbe nicht. Aber inzwischen hab ich mich dran gewöhnt. Man fällt auf damit.«
»Es passt zu Ihnen.«
»Findest du es nicht zu poppig?«
Shell war sich nicht sicher, was er damit meinte. Sie legte die Stirn in Falten, als dächte sie angestrengt nach. »Ich finde es schön, Pater. Es ist wie ein Popsong.«
Pater Rose lachte. Der Regen wurde heftiger. »Komm«, sagte er und öffnete die Beifahrertür, nahm Shell ihre Schultasche ab und baute mit dem anderen Arm wieder die Brücke über der Tür, so dass sie sich unter ihm hindurchzwängen musste, um einzusteigen.
»Na also.« Er schloss die Tür hinter ihr.
Auf dem Sitz musste sie erst Kaugummipapier, eine Karte von Irland und seinen Führerschein forträumen, um sich setzen zu können. Shell sammelte alles in ihrem Schoß, während Pater Rose rasch das Auto umrundete und sich von der anderen Seite hineinzwängte. Ihre Schultasche legte er auf den Rücksitz. Shell kam es so vor, als wäre ein riesiges Pony in eine Schubkarre geklettert. Sein Haarschopf berührte die Decke, seine Knie klemmten dicht unterhalb des Lenkrads. »Und los«, sagte er und zog die Wagentür zu. Das Geräusch des Regens veränderte sich, er prasselte auf das Wagendach ein. Die Scheiben beschlugen von der Wärme ihres Atems.
Er
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