Ein Ring von Tiffany - Roman
Mutter winkte ab. »Das verstehen wir doch. Wer will bei einem solchen Anlass auch schon seine Eltern dabei haben?«
Nummer zwei. Und in rekordverdächtigem Tempo.
Russell räusperte sich und machte so ein zerknirschtes Gesicht, dass Leigh Mitleid mit ihm bekam. Sie beschloss, ihm zur Hilfe zu kommen. »Mom, könnten wir vielleicht ein Glas Wein haben? Ist welcher im Kühlschrank?«
Mrs. Eisner deutete auf die Mahagonibar am anderen Ende des Wohnzimmers. »Wir müssten ein paar Flaschen Chardonnay im Weinkühler haben. Dein Vater mag ihn, aber mir ist er eine Spur zu trocken. Wenn ihr lieber Rotwein möchtet, müsst ihr ihn euch aus dem Keller holen.«
»Ich glaube, wir nehmen lieber einen Roten«, sagte Leigh, hauptsächlich Russell zuliebe. Dass er Weißwein - und vor allem Chardonnay - nicht ausstehen konnte, hätte er ihren Eltern gegenüber niemals offen zugegeben.
»Ihr habt doch sicher einiges zu bereden«, sagte Russell mit einem oscarverdächtigen (und im letzten Jahr tatsächlich mit einem Emmy ausgezeichneten) Lächeln. »Ich hole inzwischen den Wein.«
Mrs. Eisner griff sich Leighs Hand und hielt sie unter die Tischlampe. »Alle Achtung. Der Mann weiß, was sich gehört. Aber du natürlich auch. Russell wird dir ein wunderbarer Ehemann sein. Du bist sicher überglücklich.«
Leigh wusste nicht recht, was sie darauf antworten sollte. Irgendwie schien ihre Mutter andeuten zu wollen, dass sie ihr ganzes Leben lang auf diesen einen Augenblick hingearbeitet hatte und dass der Ring einen Erfolg symbolisierte, wie er ihr trotz ihres Einserexamens an einer Eliteuni oder ihrer Lektorenstelle bei Brook und Harris bis dahin noch nicht gelungen war. Sie liebte Russell, sie liebte ihn wirklich, aber es wurmte sie, dass ihre Mutter ihn als ihre bislang größte Lebensleistung ansah.
»Es ist alles so aufregend«, antwortete sie schließlich mit einem extrabreiten Lächeln.
Leighs Mutter seufzte. »Das will ich auch meinen! Es freut mich, dich zur Abwechslung einmal glücklich zu sehen. Du bist beruflich schon so lange extrem eingespannt... Auf jeden Fall ist diese Verlobung nicht einen Tag zu früh gekommen.«
»Mutter, ist dir eigentlich klar, was du da sagst?« Aber bevor sie ergänzen konnte: »Dass ich erstens immer negativ und zweitens schon so hochbetagt bin, dass du dir allmählich Sorgen gemacht hast, ob du mich überhaupt noch irgendwann unter die Haube kriegst«, kam Russell zurück. Und er hatte Mr. Eisner mitgebracht.
»Leigh«, sagte ihr Vater mit leiser, ruhiger Stimme. »Leigh, Leigh, Leigh.« Obwohl sein Haar völlig ergraut war, wirkte er - wie so viele Männer - dadurch nicht etwa alt, sondern vielmehr distinguiert. Das Gleiche galt für seine zerfurchte Stirn und die Falten um Mund und Augen - sie verliehen ihm einen
Anstrich von Weisheit und Erfahrung. Niemand wäre auf die Idee gekommen, ihn deswegen etwa zum Schönheitschirurgen zu schicken. Sogar seine dreißig Jahre alte marineblaue Strickjacke mit den Lederflicken und den Knebelknöpfen wirkte irgendwie intelligenter als das, was die meisten Männer heutzutage über ihren Hemden trugen.
Er blieb neben dem Klavier stehen und betrachtete Leigh mit dem Blick, unter dem sie sich immer wie bei einer Musterung vorkam, als ob er zum Beispiel ihre neue Frisur oder ihre Kleidung erst absegnen müsste. Während ihrer Kindheit und Jugend waren alle wichtigen Entscheidungen, die Leigh betrafen, von ihrer Mutter gefällt worden - ob sie sich die Augen schminken durfte, was sie zum Schulball anziehen sollte, wann sie abends zu Hause sein musste. Aber ihr Vater besaß die Macht, sie mit einem einzigen Blick oder einer einzigen Bemerkung dazu zu bringen, sich von einer Sekunde auf die andere genial oder strohdoof, wunderschön oder potthässlich, überglücklich oder kreuzelend zu fühlen. Seine Kommentare mochten beiläufig klingen, doch das waren sie nicht. Er wählte jedes Wort mit Bedacht und sprach es in voller Absicht aus. Und wehe dem, der sich nicht ebenso präzise ausdrückte. Obwohl Leigh sich nicht daran erinnern konnte, dass ihr Vater jemals die Stimme erhoben hatte, wusste sie noch zu gut, wie oft er ihre Argumente und Ansichten mit kühler Gnadenlosigkeit zerpflückt hatte. Davon fühlte sie sich bis heute eingeschüchtert.
»Er ist Lektor«, hatte ihre Mutter sie getröstet, wenn Leigh sich als Kind darüber gegrämt hatte. »Die Sprache ist sein Leben. Er geht eben sehr behutsam damit um. Er liebt die Wörter, er liebt die
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