Ein schicksalhafter Sommer
platzen und seine Zunge wäre dreimal so dick wie gewöhnlich. Wie spät mochte es sein? Auf jeden Fall zu spät, verdammt. Diesmal würde Nessel ihn hochkant vom Hof werfen. Er hätte nie gedacht, dass er so dumm sein könnte, sich selber alles kaputt zu machen. Es hatte damit angefangen, dass er letzte Woche die Beherrschung verloren hatte. Das war ihm Jahre nicht mehr passiert. Früher ja, da hatte er regelmäßig um sich geschlagen, wenn ihn die anderen wieder gehänselt hatten. Aber da war er noch ein halbes Kind gewesen. Später, da hatte man ihm schon beigebracht, dass er besser daran tat, sich zusammenzunehmen. Und all die Jahre hatte es auch ganz gut geklappt. Darum hatte er die Geschichte mit seiner Hand für einen Ausrutscher gehalten. Aber gestern, als er vor der Kirche Kofer und Katrin zusammen gesehen hatte, da war ihm die Galle hochgekommen und er hatte wieder nicht nachgedacht. Und dann gestern Abend! Es war so lange her, dass er irgendetwas Alkoholisches zu sich genommen hatte, dass er sich daran schon gar nicht mehr erinnern konnte. Und so hätte er es besser auch beibehalten. Dass er den Alkohol nicht gut vertragen hatte, war milde ausgedrückt. Vielleicht hatte es auch an der Menge gelegen. Allein bei dem Gedanken wurde ihm schon wieder schlecht. Er fühlte sich hundsmiserabel, aber das Schlimmste war, dass er seine Arbeit heute Morgen nicht gemacht hatte. Schon wieder. Und das auch noch ausgerechnet einen Tag nachdem er Nessel so in Verlegenheit gebracht hatte. Stöhnend hielt sich Robert den Kopf.
Katrin schrubbte gerade die Treppenstufen vor der Eingangstür, als sie Robert auf dem Hof erblickte. Sie stellte den Schrubber an die Hauswand und lief ihm entgegen. „Robert, wo warst du denn? Wir haben es schon halb neun.“
„So ein Mist .“ Er kniff kurz die blutunterlaufenden Augen zusammen. „Wo ist dein Vater?“
„Der füttert das Federvieh. Den Stall hat er schon ausgemistet. Du kannst dir vorstellen, dass er nicht erfreut ist. Wo warst du denn? Du siehst schlimm aus.“
„So fühl ich mich auch.“ Er rieb sich den Nacken. „Ich war gestern schlechtgelaunt, weil du alleine auf dem Fest warst. Wie war es eigentlich? Hast du dich schön amüsiert?“
„Nein, hab ich nicht. Ich hab Karl sogar endlich gesagt, dass ich nicht an ihm interessiert bin. Zufrieden?“
„Wurde auch Zeit.“
„Ja und ich bin froh, dass die Sache endlich geklärt ist. Aber du wolltest erzählen, wo du gewesen bist.“
„Also, ich hatte schlechte Laune.“ Robert sah überall hin, nur nicht zu Katrin. „Deshalb hab ich eine Flasche von dem Holunderschnaps genommen, den deine Mutter aufgesetzt hat und bin damit zum See gegangen. Das Trinken bin ich nicht gewöhnt und ich bin heute Morgen erst wieder wachgeworden. Und dann war mir so schlecht, dass ich es jetzt erst geschafft habe, hierher zu kommen.“ Schließlich wagte er es, ihr wieder ins Gesicht zu sehen.
Katrin knetete nervös ihre Schürze. „Jetzt bekommst du es erst mal mit Papa zu tun. Hoffentlich hält dein Kopf das aus.“
„Wenn er die Hühner füttert, dann hat er jetzt auch schon herausgefunden, dass ich seinen Schnaps geklaut hab. Das gibt mir wahrscheinlich den Rest.“
„Wieso sollte er das herausfinden? Wir haben zig Flaschen im Keller.“
„Dein Vater hat immer eine hinterm Hühnerstall versteckt. Da nimmt er sich ab und an einen kleinen Hieb. Für die Nerven.“ Trotz allen Elends musste er lachen, verzog dann aber schmerzvoll das Gesicht. „Ich bring es jetzt hinter mich. Hoffentlich schmeißt er mich nicht raus.“
Robert ging zum Hühnerstall rüber, warf einen sehnsüchtigen Blick auf seine Unterkunft mit dem Bett und räusperte sich dann. „Herr Nessel!“
Bei seinen Worten drehte der Ältere sich um. „Ach, nein, lässt du dich doch noch mal blicken. Ich hab bis gerade deine Arbeit gemacht.“
„Es tut mir leid, Herr Nessel. Ich hab gestern zu viel getrunken und ich habe verschlafen. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung“, er befeuchtete sich die trockenen Lippen, „aber es wird nicht wieder vorkommen. Ich mach mich auch sofort an die Arbeit.“ Robert hoffte, dass er hier noch Arbeit hatte.
Hermann sah ihn ernst an. „Ich hab dir gestern Abend die Verantwortung hier überlassen“, sagte Hermann schließlich grimmig. „Nur weil ich dir gesagt hab, was Sache ist, lässt du alles stehen und liegen und verschwindest.“
„Es tut mir leid, ich hatte nicht vor, die ganze Nacht wegzubleiben, ich hab zu viel
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