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Ein schöner Ort zu sterben

Ein schöner Ort zu sterben

Titel: Ein schöner Ort zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malla Nunn
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Captain?«
    »Es bedeutet, nahe genug, um ihr die Zunge ins Ohr und noch ein paar andere Öffnungen zu stecken«, präzisierte Emmanuel und sah, dass der Arzt rot wurde.
    Zweigman schwieg einen Moment, dann warnte er Emmanuel: »Sollten Sie diese Anschuldigung außerhalb dieser vier Wände wiederholen, dann brauchen Sie ein ganzes Team von Chirurgen, um Sie wieder zusammenzunähen. Und ich bin mir nicht mal sicher, ob denen das gelingen würde.«
    »War es eine der Frauen aus Ihrem Geschäft?«, setzte Emmanuel nach, während der Deutsche einen Baumwollfaden ins Nadelöhr schob und verknotete. Die Hände des Arztes waren ruhig, aber er hielt den Kopf seltsam zur Seite geneigt, so als wolle er sich so weit wie möglich von diesem Gespräch distanzieren.
    »Tottie vielleicht oder Davida?«
    »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen«, antwortete Zweigman, während er mit den flinken Fingern eines Chirurgen, der schon tiefere Wunden behandelt hatte, den Schnitt zusammenpresste und das Fleisch vernähte. Emmanuel war sich vollkommen sicher, dass der alte Jude mehr wusste, als er zugab. Aber anders als die Security Branch bevorzugte er es, ein Geständnis freiwillig zu erlangen.
    »Wissen Sie, was seltsam ist«, sagte er, nachdem Zweigman den Faden vernäht hatte und der stechende Schmerz abgeklungen war, »Sie haben mit keiner Silbe erwähnt, dass ich mich in dem Captain irre. Als ich andeutete, dass ein ehrenwerter weißer Polizist sich mit einem farbigen Mädchen abgab, kam von Ihnen keinerlei Reaktion. Keinerlei Überraschung. Überhaupt nichts.«
    Zweigman stand auf und räumte sorgfältig das Nähzeug seiner Frau zusammen. Er sah alt und müde aus, seine Schultern hingen herab, als laste ein großes Gewicht auf ihnen.
    »Wir sind doch beide Männer von Welt, Sergeant. Wir haben einen Krieg mitgemacht und Städte niederbrennen sehen. Kann so etwas wie eine Affäre uns wirklich noch schockieren?«
    »Vielleicht nicht. Aber die anderen in der Stadt und im ganzen Land werden das nicht so sehen. Das Unsittlichkeitsgesetz ist in Kraft, und dass ausgerechnet ein Polizist es gebrochen hat, wird eine Menge Leute entsetzen.«
    »Unsittlichkeitsgesetz?« Zweigman schnaubte verächtlich.
    »Die Kräfte der Natur sind stärker als die Gesetze der Menschen.«
    Die Tür des zur Bibliothek umfunktionierten Wohnzimmers ging auf, und Lilliana Zweigman kam rückwärts herein. Sie trug ein Tablett mit einer Teekanne, Tassen und einem Teller Butterkekse in Form von Schneeflocken.
    »Komm, ich helfe dir.« Zweigman nahm seiner Frau das Tablett an und jonglierte es mit ausgestrecktem Arm zum Sofa. »Du bist ganz erstaunlich, Liebchen, ein regelrechtes Wunder. Jetzt hast du dir eine Ruhepause verdient. Warum legst du dich nicht wieder hin? Ich rede noch ein bisschen mit Mr. Cooper.«
    Lilliana sah abwechselnd ihren Mann und Emmanuel an und rührte sich nicht. Sie spürte, dass bei der Anwesenheit des Detectives in ihrem Haus nicht alles mit rechten Dingen zuging.
    »Mr. Cooper, bitte nehmen Sie sich doch etwas Tee und probieren Sie die Kekse meiner Frau.«
    Emmanuel gehorchte und biss in ein gelbes, überzuckertes Scheibchen Gebäck. Es war köstlich, und erst jetzt fiel ihm auf, dass er schon seit Stunden nichts mehr zu sich genommen hatte. Mit zwei Bissen vertilgte den Keks und nahm sich einen zweiten.
    »Siehst du?« Zweigman trat an die Seite seiner Frau. »Die macht dir einfach keiner nach. Ich bin sicher, Mr. Cooper würde sich freuen, wenn er ein Döschen von deinem Gebäck mitnehmen dürfte.«
    »Ja«, sagte Lilliana und verließ in zögerlichem Rückwärtsgang das Zimmer. »Ich packe ihm welche in die Dose mit den roten Röschen drauf.«
    »Genau die richtige Wahl«, sagte der Doktor. Er schob sanft die Tür hinter ihr zu und kam wieder zum Sofa.
    »Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie nicht mit ihrem Dienstgrad angeredet habe. Meine Frau fühlt sich in Gegenwart von Polizisten unwohl, und ich befürchtete, sie würde noch nervöser werden, wenn ich Sie Detective nenne.«
    »Macht überhaupt nichts«, erwiderte Emmanuel, nachdem er die Schmerztabletten gekaut und einen Schluck Tee mit Milch genommen hatte.
    Zweigman lehnte sich im Sofa zurück und balancierte die Teetasse auf seinen Knien. Der Doktor schien umgeben von einem Meer der Trauer, und Emmanuel spürte, dass auch ihn das vertraute Gefühl der Schmermut wie ein alter Freund umarmte. Männer von Welt, hatte Zweigman sie genannt. Männer, die von Krieg und

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