Ein schöner Ort zu sterben
erläuterte Hansie, während sie aus dem Haus auf die Veranda traten. Sechs Kinder, von kniehoch bis schulterhoch, spielten mit einem hölzernen Kreisel, der zwischen ihnen hin und her tanzte. Ein junges schwarzes Mädchen schaukelte auf seinen Knien ein dickes weißes Kind. Die Pretorius-Brüder hielten draußen auf dem Rasen ihren eigenen Kriegsrat. Alle außer Louis.
Emmanuel trat zu ihnen. Erich kam sofort zur Sache.
»Hansie hier sagt, dass es der alte Jude war, der Pa untersucht hat. Wie kommt das?«
»Ich habe selbst seine Zulassung überprüft. Alles war in Ordnung. Der Mann war für eine solche Untersuchung qualifiziert.«
Emmanuel wartete auf wütenden Protest, aber es kam keiner. Die Brüder starrten ihn nur an, ihr Ausdruck war unverändert.
»Pa hat recht gehabt.« Henrick sprach eine Spur zu langsam, das Ergebnis beharrlichen Trinkens über den Nachmittag hinweg. »Er hat immer gesagt, der alte Jude hat was zu verbergen.«
»Verschlagen«, warf Erich ein. »Wer außer dem alten Juden würde denn bei so was lügen, hä? Wahrscheinlich weiß der gar nicht, wie man die Wahrheit sagt. Keine Übung.«
Die Pretorius-Brüder waren schon halb hinüber und schienen nicht die Absicht zu haben, es etwas langsamer angehen zu lassen.
»Hatten Ihr Vater und der alte Jude in letzter Zeit eine Auseinandersetzung?«, fragte Emmanuel.
»In letzter Zeit nicht mehr«, berichtete Henrick. »Das Jahr über hat ihn der Captain aber ein paar Mal aufgesucht, um ihm klarzumachen, wie die Dinge hier in Jacob’s Rest laufen. Hat ihm sozusagen ein paar Benimmregeln beigebracht, damit er sich keinen Ärger einbrockt.«
»Nett von ihm«, bemerkte Emmanuel gnädig. Zweigmans Bemerkung fiel ihm wieder ein, dass der Captain gelegentlich auf einen »netten Plausch« vorbeigeschaut hatte. »Und glauben Sie, dass der alte Jude Ihrem Vater seine Hilfe übelgenommen hat?«
Henrick zuckte die Achseln. »Vielleicht.«
»So übel, dass er ihn vielleicht umgebracht hat?« Emmanuel machte Druck. Den angeheiterten Zustand der Brüder musste er ausnutzen. Wenn sie nüchtern waren, kam man kaum an sie heran.
Erich prustete. »Der soll meinen Vater umgebracht haben?«
»Der alte Jude hat doch Angst vor Waffen«, erklärte Henrick. »Er würde nie eine anrühren. Verkauft ja nicht mal Patronen in seinem Laden.«
»Ohne Hilfe könnte der nicht mal ein Huhn erwürgen«, warf Johannes ein.
»Könnte nicht mal ein Feuer auspissen, außer seine Frau zielt für ihn«, ergänzte Erich mit einem gemeinen Kichern, worauf die Brüder in Gelächter ausbrachen.
Emmanuel wartete, bis das Lachen verebbt war. In ein paar Stunden, wenn der Whisky-Schneid sich verflüchtigt hatte, würde der Mord an ihrem Vater mit seinem ganzen Gewicht auf ihnen lasten. Dann würden sie sich daran erinnern, dass der Mörder immer noch frei herumlief, mitten unter ihnen.
»Guck mal, Pa. Guck dir das an!«, rief ein etwa zehnjähriger Junge von der Veranda, während der Kreisel die Treppe hinunter ins Gras hüpfte. Kreischend liefen die Kinder ihm nach.
Henrick hob ein kleines Mädchen hoch und warf es in die Luft. Die anderen Kinder umringten Henrick bettelnd, weil sie das auch mal wollten. Emmanuel beobachtete den lärmenden Familienclan und fragte sich, wo sich wohl der jüngste Bruder verbarg.
»Wo ist Louis?«
»Im Schuppen«, antwortete Henrick. »Den ganzen Tag hockt er nun schon da drin und fummelt an diesem bescheuerten Motorrad rum.«
»Genau.« Erich strich dem Kind vor ihm durch die Haare. »Hansie, geh mal und schau, ob du ihn da rausbekommst. Ma braucht ihn gleich.«
Hansie wandte sich dem hinteren Ende des Gartens zu, wo unmittelbar am Zaun ein kleiner Schuppen stand. Hinter der verrosteten Blechhütte reckten ein paar flache Bäume ihre struppigen Äste in den weiten Himmel.
»Ich komme mit.« Emmanuel löste sich aus der Familiengruppe und ging hinter Hansie her. Der Schuppen eines Mannes konnte einem oft viel über den Mann selbst verraten. Irgendetwas im Zusammenhang mit den Captain hatte für seinen gewaltsamen Tod gesorgt, und irgendetwas im Zusammenhang mit diesem Tod hatte die Security Branch alarmiert. Wenn Emmanuel wissen wollte, wieso, verlor er am besten keine Zeit.
Hansie klopfte ans Schuppentor. »Louis, ich bin’s.«
»Komm rein!« Das Tor schwang auf, und Louis, ein etwa neunzehnjähriger Junge, trat einen Schritt zurück, um sie einzulassen. Er war federleicht und noch feingliedriger, als die Fotografie hatte erahnen lassen.
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