Ein schöner Ort zu sterben
Informationen, solange er noch die Gelegenheit dazu hatte.
Aggie blieb vor einer verschlossenen Tür stehen und kramte in ihrer Schürzentasche nach dem Schlüssel. Sie brauchte eine Ewigkeit, bis sie ihn ins Schloss bugsiert und mit ihren arthritischen Händen umgedreht hatte. Sie schob die Tür auf und bedeutete ihm wortlos hineinzugehen. Während Emmanuel über die Schwelle des Gästezimmers trat, fragte er sich, ob die schwarze Dienstmagd am Ende auch noch stumm war.
Er blieb stehen und nahm sich einen Moment, um das Zimmer auf sich wirken zu lassen, bevor er sich darin zu schaffen machte. Es war ein großer, angenehmer Raum mit einem ordentlich gemachten Bett, einem Nachttischchen, einem Kleiderschrank aus dunklem Holz und einem Schreibtisch, der vor einem Fenster stand, so dass man von dort aus in den Vorgarten blicken konnte. Ein weiteres Beispiel für die Spezialität des Captains, alles tadellos aufgeräumt zu hinterlassen.
Emmanuel betrat das Zimmer, ging hinüber zum Nachttischchen und zog die Schublade auf. Sie enthielt eine in schwarzes Kalbsleder eingebundene Bibel, sonst nichts. Das Buch der Bücher lag dort nicht nur zum Schein, offensichtlich hatte Captain Pretorius das Wort Gottes regelmäßig gelesen. In der Steinhütte allerdings hatte keine Bibel gelegen, nur ein von einem weinerlichen Perversen gestohlener Fotoapparat und ein Umschlag, dessen Inhalt offenbar so kostbar war, dass man andere dafür sogar anpisste.
Emmanuel drehte die Bibel um und schüttelte sie kräftig, um zu sehen, ob etwas herausfiel.
»Eieiei …«, meldete sich die Dienstmagd, schockiert über diesen Umgang mit der Heiligen Schrift. Sie war also doch nicht stumm oder blind, sondern offenbar nur nicht willens, ihre abnehmenden Kräfte mit Reden zu vergeuden. Vorsichtig klappte Emmanuel die Bibel zu und drehte sie wieder um. Unter den Augen der alten Magd blätterte er in den Seiten wie ein Prediger, der für eine anstehende Predigt Perlen der Weisheit sucht.
Schließlich legte Emmanuel die Bibel zurück in die Schublade und schloss sie. Das Buch enthielt nichts als das Wort des Allmächtigen. Er warf einen kurzen Blick auf das mit sauberen gelben Laken und einer karierten Decke bezogene Bett. Er hob das Kissen hoch und sah, dass ein blauer Baumwollpyjama darunter gestopft war. Die Magd ließ eine weitere leise Unmutsbezeugung vernehmen, und Emmanuel legte das Kissen wieder exakt an seinen alten Platz zurück. Schon jetzt vermittelte das Zimmer den Eindruck eines Schreins. Alles sollte hier unverändert bleiben, bis der Captain dereinst am Jüngsten Tag zurückkehrte.
Der doppeltürige Kleiderschrank war ein schönes Möbelstück mit Perlmuttgriffen. Emmanuel zog sie auf und fand nebeneinander hängend zwei blaue Polizeiuniformen. Zwei Paar auf Hochglanz polierte Stiefel warteten darauf, dass der Captain seine Füße Größe 46 hineinsteckte.
»Nur Geduld«, beruhigte Emmanuel sich, während er zum Schreibtisch wechselte. Das Zimmer war nicht ohne Grund verschlossen. Als er die oberste Schublade aufzog, vollführte sein Herz einen Tanz. Darinnen lag neben einem dünnen Buch mit festem Einband eine dicke Polizeiakte. Er nahm sich zuerst die Akte, schnürte sie auf und schaute hinein. Beim ersten Blatt handelte es sich um eine Anzeige vom August 1951, in der die süße Tottie James angab, vor ihrem Schlafzimmerfenster ein Keuchen gehört zu haben. Keine große Überraschung. Die meisten Männer keuchten, wenn sie sich in der Nähe befand.
Er blätterte weiter bis zum Ende der Akte und fand eine Zeugenaussage von Vera, in der allerdings nichts vergleichbar Lustiges zu finden war. Die Pfarrerstochter war in ihrem eigenen Zimmer von hinten gepackt und mit dem Gesicht nach unten auf den Boden gedrückt worden, während der Täter seine Hüften an ihrem Hinterteil gerieben hatte. Eigentlich hieß Voyeur doch auch gleichzeitig Abstand halten. Irgendein Heimlichtuer betrachtete das Objekt seiner Begierde von ferne. Körperliche Angriffe, die Hautverletzungen und eine angebrochene Rippe zur Folge hatten, waren etwas ganz anderes.
Heute Abend würde er sich die Akte genauer ansehen und versuchen, sich ein Bild von dem Mann zu machen, der diese Verbrechen beging. Und herauszufinden, warum es dem Captain und seinem Lieutenant nicht gelungen war, ihn zu ermitteln und zu verhaften.
Emmanuel legte die Polizeiakte weg und nahm das Buch in der Schublade näher in Augenschein. Das schmale Bändchen war so klein, dass es in eine
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