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Ein schöner Ort zu sterben

Ein schöner Ort zu sterben

Titel: Ein schöner Ort zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malla Nunn
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unnatürliche Seite. In den Augen einiger Weißer hatte Captain Pretorius vielleicht genau dies getan: Er hatte die Grenze zur Welt der Schwarzen übertreten.
    »Er war nicht wie die anderen Holländer«, hatte Shabalala am ersten Tag der Ermittlungen gesagt. Vielleicht hatte genau dieser Unterschied den Captain das Leben gekostet.
    »Danke für den Tee, Mrs. Pretorius.« Emmanuel hob die Akte über die sexuellen Belästigungen auf und stand auf. Er musste mit Erich reden, und danach würde er sich intensiver mit der Spur des »zum Schwarzen gewandelten Weißen« beschäftigen.
    »Ich melde mich, sobald es etwas Neues gibt.« Er gab Mrs. Pretorius die Hand und war sich dabei bewusst, dass er sie zum letzten Mal berühren würde. Wenn er erst einmal ihren Sohn verhört hatte, würde Mr. Pretorius ihn einfrieren.
    Sie schüttelte ihm die Hand und sah die Akte, die er in der anderen hielt.
    »Was ist das?«, fragte sie.
    »Eine Akte über sexuelle Belästigungen an einigen farbigen Frauen in der Stadt.« Er sagte ihr die Wahrheit. Solchen Dreck mochte sie bestimmt nicht in ihrem Haus, und er wollte ihr eine Reaktion auf die Erkenntnis entlocken, dass Willem etwas Dunkles in ihre Welt eingeschleust hatte.
    »Oh …« Sie machte einen halben Schritt zurück. »Lag sie im Gästezimmer?«
    »Ja«, antwortete Emmanuel. »Der Fall blieb damals ungelöst. Vielleicht muss man ihn noch einmal aufrollen und sehen, ob sich neue Spuren ergeben haben.«
    Angewidert zog sie die Stirn in Falten. »Sehr wahrscheinlich war es einer von denen selbst. Einer von dieser Sorte muss das gemacht haben.«
    »Hat Captain Pretorius das gesagt?«
    »Das musste er gar nicht.« Sie hatte die Beherrschung wiedergefunden und wandte sich einem Thema zu, bei dem sie sich gut auskannte: der Schwachheit anderer Menschen. »Der Mann, der diese Taten begangen hat, hat noch starke primitive Wesenszüge. Wir Europäer haben uns bereits weiter vom Tier wegentwickelt als die Schwarzen und die Farbigen.«
    Am liebsten hätte Emmanuel ihr erzählt, dass er jede Nacht von den entsetzlichen Dingen träumte, die die zivilisierten Europäer einander mit Gewehren, Messern und Brandbomben angetan hatten.
    Er klemmte sich die Akte unter den Arm und wandte sich zum Gehen. In Südafrika verging kein Tag und keine Stunde, ohne dass irgendjemand eine Bemerkung über das abwegige Verhalten der Leute außerhalb der eigenen Rasse machte. Ob Inder, Schwarze, Farbige oder Weiße – alle rümpften mit gleicher Hingabe über alle anderen die Nase.
    »Seltsam«, sagte Mrs. Pretorius leise. »Willem hat mir gar nichts davon erzählt, dass er an dem Fall arbeitete. Er sagte mir, der sei abgeschlossen.«
    Als Emmanuel sich zu der Witwe umdrehte, sah er sie mit großer Neugierde auf die Akte stieren. Beinahe so, als wolle sie von der Schattenwelt, an deren Eindämmung ihr Mann gearbeitet hatte, einmal kosten.
    »Hat er immer seine Fälle mit Ihnen besprochen?«
    »Nicht alle«, antwortete sie. »Aber der hier war etwas Besonderes. Es machte ihm zu schaffen, als er damit zu tun hatte. Manchmal konnte er nachts gar nicht einschlafen, so sehr sorgte er sich um die moralische Verfassung der Stadt.«
    »Ungelöste Fälle können einen Polizisten ganz schön verfolgen«, sagte Emmanuel.
    »Deshalb«, sie hatte nur noch Augen für die Akte, »verstehe ich auch nicht, warum er mir nicht erzählt hat, dass er sich die Sache noch einmal vorgenommen hat. Er … Willem hat mir doch sonst immer alles gesagt.«
    Dass diese Akte ohne ihr Wissen in ihrem Haus lag, erschütterte ihre Phantasiewelt in den Grundfesten. Die Gewissheit ihrer wahrhaft christlichen Ehegemeinschaft war erschüttert.
    »Ich bin sicher, er wollte Sie nur nicht damit beunruhigen.« Emmanuel bot ihr eine einfache Erklärung. Falls er herausfand, dass die Umtriebe des Captains in Mosambik krimineller Natur waren, würde ihr Glaube einem wirklichen Härtetest unterzogen werden.
    »Bestimmt.« Sie belächelte ihre eigenen Zweifel. »Willem hatte einen ausgeprägten Beschützerinstinkt. Er lebte nur für die Sorge um seine Familie und seine Stadt.«
    Als sie das Wort »lebte« aussprach, sah Emmanuel die Tränen hervorquellen. Es war die Vergangenheit. Alles, was sie von jetzt ab über ihren Mann sagte, würde Vergangenes betreffen. Mrs. Pretorius’ Trauer war echt. Trotzdem wurde Emmanuel das Gefühl nicht los, dass sie selbst abgedrückt hätte, wenn sie ihren geliebten Willem bei etwas Schlüpfrigem erwischt

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