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Ein Schöner Ort Zum Sterben

Ein Schöner Ort Zum Sterben

Titel: Ein Schöner Ort Zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Granger Ann
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In den letzten vierundzwanzig Stunden.«
    »Vergewaltigung?«
    »Bisher habe ich keine Anzeichen unnötiger Gewaltanwendung entdecken können, doch die Obduktion wird sicher Näheres zutage fördern.«
    »Nur interessehalber«, sagte Markby.
    »Sind Sie eigentlich nie wegen Ihrer Arbeit deprimiert?«
    »Das ist doch bei jeder Arbeit so«, erwiderte Fuller.
    »Oder sind Sie immer fröhlich?«
    »Ich versuche, mich an unseren Erfolgen zu erfreuen statt über unsere Niederlagen zu brüten.«
    »Mir geht es genauso. Sehen Sie es doch einmal so«, Fuller strahlte ihn an.
    »Niemand erwartet von mir, dass ich irgendeinen meiner Patienten heile. Sie sind alle schon tot.« Markby gab den erkaltenden Kaffee und die Unterhaltung auf.
    »In Ordnung. Ich bin zurück, sobald Sie die Tote aufgemacht haben. Ich muss in zehn Minuten im Bezirkspräsidium sein.«
    »Wir bringen den Leichnam ins Kühlhaus«, fügte Fuller unerwartet hinzu. Er schien noch immer guter Laune.
    »Ich bin nur froh, dass meine Töchter …« Er brach ab.
    »Froh, dass Ihre Töchter was?« Markby musterte den Pathologen neugierig. Fuller zeigte in Verbindung mit einem Leichnam nur selten Emotionen, noch schien er einen Toten je als Individuum zu betrachten. Doch der Tod dieses jungen Mädchens hier ging auch ihm unter die Haut.
    »Froh, dass sie vernünftige Mädchen sind«, gestand er verlegen.
    »Keine kleinen Herumtreiberinnen, wie diese hier es offensichtlich war.«
    »Man kann Menschen nicht immer so leicht in Kategorien einordnen«, entgegnete Markby düster. Er hätte Fuller darauf hinweisen können, dass nur allzu oft Unschuldige die Opfer waren und nicht die, von denen man es vielleicht erwartete. Manchmal half es, wenn man wusste, was auf dem Spiel stand. Manchmal führte es jedoch nur zu einem überzogenen Selbstvertrauen, das sich als fatal erweisen konnte. Doch Markby hatte Fullers Töchter kennen gelernt; sie waren bestürzend intellektuell und wohlerzogen und ihm stets als für ihr Alter unglaublich weit entwickelt vorgekommen. Markby wäre nicht weiter überrascht, wenn eine von ihnen eines Tages das Land regierte. Fuller begleitete ihn zum Ausgang der gerichtsmedizinischen Abteilung, und sie kamen erneut an dem Untersuchungstisch und der Toten vorbei. In diesem Augenblick ertönte ein leises, raschelndes Geräusch. Markby wandte den Kopf gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die Füße, die Fuller wieder zugedeckt hatte, von ganz alleine zuckten.
    »Das ist die einsetzende Leichenstarre«, erklärte Fuller.
    »Muskuläre Spasmen. Sie dreht, wie es der Volksmund so schön sagt, die Füße nach oben. Nun werden Sie nicht gleich grün im Gesicht, Chief Inspector! Sie steht bestimmt nicht mehr auf.«
    Die beiläufige, aber nichtsdestotrotz gruselige Erfahrung hatte Markby zutiefst erschüttert. Er betrat das nüchterne Gebäude des Präsidiums mit der dunklen Vorahnung, dass die Dinge anfingen, gewaltig schief zu laufen.
    Ein Leichnam war natürlich nie ein günstiges Omen, doch dieser hier schien ihm eine ausgewachsene Pechsträhne einzuläuten. Nicht, dass er an die
    »Sterne« oder Weissagungen oder irgendein System glaubte, das die Zukunft zu deuten vermochte. Er hatte eine Tante gehabt, die auf die Teetassenmethode schwor. Doch er hatte bereits in früher Jugend jegliches Vertrauen zu derartigen Methoden verloren, als besagte Tante ihn informierte, dass es nur funktionierte, wenn man
    »die großen Teeblätter« benutzte. Ein System, das lediglich innerhalb derart eng gesetzter Grenzen funktionierte, war überhaupt kein System, sondern höchstenfalls eine besondere Fügung äußerer Umstände.
    Nichtsdestotrotz beschlich Markby zuweilen das Gefühl, dass ihm ein unruhiger Ritt bevorstand. Und in diesen Situationen war er jedes Mal fast versucht, seine Ansicht über die Sterne zu revidieren. Er spürte dann so etwas wie das Fehlen von Harmonie in der Atmosphäre. Die falsche Sorte Teeblätter. Und so war es auch in diesem Fall. Er stieg die Treppe hinauf, doch bevor er das Büro des Superintendents erreichte, hörte er seinen Namen rufen. Er blickte auf und sah Norris über sich auf dem Treppenabsatz. Hinter ihm stand eine junge Frau mit sehr kurz geschnittenen Haaren und angespanntem Gesichtsausdruck.

    »Irgendwelche Neuigkeiten?«, erkundigte sich Norris knapp, nachdem Markby den Gruß erwidert hatte und bei seinem Vorgesetzten angekommen war. Norris’ Mund bewegte sich, doch in seinem restlichen Gesicht zuckte nicht ein Muskel. Ein

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