Ein Schöner Ort Zum Sterben
Mädchen etwas verloren, das auf lange Sicht viel wichtiger war als Unschuld. Sie hatte ihren Respekt vor sich selbst verloren, und es war ihr nicht einmal bewusst.
Oder dramatisiere ich einfach zu sehr?, dachte Meredith, während sie sich ihren Weg in einen bereits überfüllten Zug bahnte. Es war Montagmorgen, und es regnete, und in dem feuchten Pendlerzug war das Leben für niemanden ein Zuckerschlecken.
Die Türen glitten zu, doch dann öffneten sie sich wieder, blockiert durch einen Fremdkörper. Ein allgemeines ärgerliches Stöhnen ging durch den Waggon, weil die Verzögerung das Unbehagen um einige zusätzliche Sekunden in die Länge zog.
»Geh weg von der verdammten Tür!«, rief jemand aus der Menge. Alle rückten zusammen, und jeder funkelte seinen Nachbarn an, als wäre er der Schuldige. Beim zweiten Versuch schlossen sich die Türen, der Zug setzte sich in Bewegung, und sie schaukelten und ratterten in dem stickigen Waggon in Richtung London. Der Beginn einer neuen Woche.
Was Meredith wirklich störte, abgesehen davon, dass sie gegen eine der Metallstangen am Ende der Sitzreihen gedrückt wurde, war die Tatsache, dass das bettelnde Mädchen sie an Katie Conway erinnerte. Nicht weil es irgendwelche Ähnlichkeiten gegeben hätte, Gott behüte oder weil Katie in finanziellen Schwierigkeiten steckte, sondern weil Katie sie ebenfalls um Hilfe gebeten und Meredith sie ihr verweigert hatte. Sicher, sie wusste, dass sie jedes Recht dazu gehabt hatte, aber wie jetzt eben in diesem Fall beruhigte das ihr Gewissen nicht wirklich. Helen Turners Worte hatten die Dinge nicht gerade leichter gemacht. Irgendjemand musste den Jungen zuhören.
»Aber warum ausgerechnet ich?«, fragte sie sich rebellisch. Was dem berühmten:
»Bin ich der Hüter meines Bruders?« verdammt ähnlich klang. Heute war offensichtlich der Tag der Selbstgeißelung – und wenn schon!
Als der Zug an die Oberfläche kam, prasselte Regen auf das Dach herab, und auf dem Pflaster am Ausgang der Underground wartete ein weiterer Bettler. Diesmal ein Junge, hohläugig und unterernährt, mit langem, ungekämmtem Haar, das an dem dünnen Gesicht klebte, einem weiten alten Übermantel, der um seinen dürren Leib schlackerte, und Füßen in ausgetretenen alten Turnschuhen. Meredith hatte sich unterdessen in ein Verantwortungsgefühl für alles Übel der Welt gesteigert und gab ihm ein paar Münzen.
»Danke!«, sagte der Junge mit einem überraschend fröhlichen Grinsen. Doch es half nicht, Merediths Schuldgefühle zu lindern. Nun nagte das Gefühl an ihr, jemanden mit ihrer Großzügigkeit unterstützt zu haben, der zweifellos Drogenmissbrauch betrieb. An manchen Tagen kann man eben einfach nicht gewinnen.
Am selben Morgen, während Meredith in einem Aufzug in die Eingeweide der Londoner Underground sank, saßen Markby und Sergeant Helen Turner über zwei langsam erkaltenden Bechern Kaffee im Büro und verglichen ihre Notizen.
»Mein Besuch in Park House hat eine Menge neuer Fragen aufgeworfen, aber nur wenige Antworten gebracht. Wenigstens habe ich die Schlüssel gefunden.« Markby seufzte.
»Bridges hat sie sogleich untersucht, aber er war nicht imstande, einen vernünftigen Fingerabdruck oder auch nur ein Fragment eines Fingerabdrucks zu finden.« Er blickte auf seine Notizen.
»Entweder wegen der Verzierungen auf dem fraglichen Objekt oder weil derjenige, der sie benutzt hat, Handschuhe gegen die Kälte anhatte. Ich wage zu behaupten, dass die Spurensuche uns außerdem darüber informieren wird, dass es sich bei dem Fleck um ein ganz gewöhnliches Haushaltsöl handelt, wie man es allenthalben benutzt, um Türangeln oder Schlösser zu schmieren. Wir müssen den endgültigen Bericht abwarten sowie die Analyse des Blutes und der Haare. Mrs. Wills hat außerdem bestätigt, dass das Halskettchen ihrer Tochter gehörte.«
»Ich habe Lynnes Freundin Nikki ausfindig machen können«, berichtete Helen.
»Sie sollten sich diese Wohnung ansehen, das reinste Chaos! Ich habe mit Mrs. Arnold und mit Nikki gesprochen, aber ich muss zuerst die Mutter aus dem Weg schaffen, bevor von Nikki mehr zu erfahren ist. Ich bin sicher, dass Nikki eine ganze Menge weiß, aber ich fürchte, bis ich dazu komme, sie allein zu befragen, hat ihre Mutter sie längst geimpft, auf alle Fälle den Mund zu halten. Ich will damit nicht andeuten, dass Mrs. Arnold alles weiß, was ihre Tochter treibt, aber sie gehört nicht zu der Sorte Frauen, die sich freiwillig mit
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