Ein Schöner Ort Zum Sterben
Nikki. Wusstest du, dass sie tot ist?« Nikkis Gesicht wurde leichenblass.
»Das arme kleine Ding«, sagte Mrs. Arnold.
»Gestern Abend noch haben wir darüber geredet. Ihre Leute mussten zur Polizei und den Leichnam identifizieren. Man sollte wirklich meinen, es gäbe eine andere Möglichkeit! Ich hoffe, dass Sie den Mistkerl kriegen! Möchten Sie vielleicht ’nen Kaffee?« Irgendwie waren sie im Verlauf der Unterhaltung durch die Diele in Richtung des noch unordentlicheren Wohnzimmers gewandert. Alles war voll mit nicht gespültem Geschirr und allgemeinem Müll. Helen lehnte das großzügige Angebot ab und nahm auf dem saubersten der freien Sessel Platz. Nikki setzte sich auf das Sofa, nachdem sie einen Stapel Wäsche und Magazine beiseite geschoben hatte. Mrs. Arnold zündete sich eine Zigarette an und stützte sich mit einem Ellbogen auf die Hand des anderen Arms.
»Ich weiß überhaupt nichts«, sagte Nikki fast unhörbar leise.
»Ich hab Lynne letzten Donnerstag nicht gesehen. Ich hab bei ihr zu Hause angerufen und ihr gesagt, dass ich abends nicht mit ihr ausgehen kann.«
»Das wissen wir bereits. Aber du warst Lynnes Freundin, nicht wahr? Ihr seid doch normalerweise zusammen ausgegangen. Was habt ihr gemacht, wenn ihr ausgegangen seid?«
»Das Übliche. Manchmal sind wir zum Jugendclub gegangen, wenn es einen Gig gab. Oder haben mit unseren Freunden rumgehangen.«
»Wart ihr auch in den einheimischen Lokalen?«
»Sie hat immer nur Orangensaft getrunken!«, krächzte Mrs. Arnold.
»Meine Nikki rührt keinen Alkohol an, stimmt’s, Nik?«
»Ja, Mama, das stimmt«, sagte Nikki wenig überzeugend.
»Weißt du vielleicht, ob Lynne sich an jenem Abend mit jemandem treffen wollte?« Nikki hämmerte sich mit geballten Fäusten auf die Knie und rief in einem leidenschaftlichen Ausbruch:
»Ich weiß es nicht! Ich hab Ihnen doch schon gesagt, dass ich es nicht weiß!«
»Ruhig, Nik, nur ruhig«, sagte ihre Mutter.
»Sehen Sie? Sie kann Ihnen nicht helfen.« Um mit Nikki vernünftig reden zu können, musste sie zuerst von ihrer Mutter getrennt werden.
»Welche Schule besuchst du?«, fragte Helen beiläufig. Nikki blickte sie misstrauisch an.
»Das Bamford Community College, warum?« Sie schwänzt die Schule!, dachte Helen. Sie erhob sich.
»Es tut mir leid wegen deiner Freundin, Nikki. Es muss ein schlimmer Schock für dich sein.«
»Für uns alle!«, sagte Mrs. Arnold durch eine Rauchwolke hindurch.
»Die jungen Mädchen sind nicht sicher auf unseren Straßen! Diese Männer, die ihnen überall auflauern, sie gehören ins Gefängnis oder kastriert, wie streunende Katzen, wenn Sie meine Meinung wissen wollen!« Als Mrs. Arnold Anstalten machte, die widerspenstige Wohnungstür zu öffnen, fragte Helen:
»Wohnt Mr. Arnold eigentlich noch bei Ihnen?«
»Selbstverständlich nicht!«, empörte sich seine Frau.
»Wir waren noch Kinder, als wir geheiratet haben! Ich war gerade sechzehn! Es hat nur ein Jahr gedauert. Er war nicht Nikkis Vater. Er hat sich einfach abgesetzt. Männer sind so, oder? Bleiben nie lange genug irgendwo, um die Rechnung zu bezahlen. Ich habe seinen Namen behalten, weil ich ihn schöner fand als den Namen, mit dem ich geboren wurde!«
»Oh, und wie war Ihr Mädchenname?«, fragte Helen neugierig.
»Mutchings.« Die Tür flog auf und katapultierte Mrs. Arnold in Helens Arme,
»’tschuldigung, Schätzchen. Das passiert, wenn man nicht ständig auf der Hut ist mit dieser Tür. Ja, ich bin eine geborene Mutchings. Eigenartiger alter Name, finden Sie nicht auch?«
»Haben Sie vielleicht ein paar Pennys?«
Die Sprecherin war ein junges Mädchen mit teigigem Gesicht und scharf blickenden Augen. Sie war einigermaßen sauber und anständig gekleidet, ohne dieses verwahrloste Äußere, das diejenigen kennzeichnet, die wirklich ganz unten angekommen sind.
Meredith, die von dem Mädchen am Eingang zur Londoner Underground angesprochen worden war, erkannte die professionelle Bettlerin und schüttelte den Kopf. Das Mädchen ging, ohne sich aufzuhalten, weiter, um den nächsten Passanten anzuschnorren. Meredith blieb mit einem durch und durch britischen Schuldgefühl zurück.
Zu wissen, dass man im Recht ist, hilft eben nicht immer. Wenn man um Hilfe gebeten wird und diese Hilfe verweigert, dann hinterlässt dies ein nagendes Gefühl des Unbehagens. Niemand, und ganz bestimmt kein junger Mensch, sollte um seinen Lebensunterhalt betteln müssen. Irgendwann auf ihrem Weg hatte das junge
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