Ein Schuss Liebe kann nicht schaden
wieder auf dem Heimweg gesungen.“
Fröhlich stimmte Emmy-Lou ihm zu. „Oh ja, das habe ich. Und Papa und ich haben uns keine Sorgen gemacht – oder Papa?“
Jakob ließ seine Schwester los und kniete sich auf den Boden. Dann zog er seine Tochter in seine Arme, drückte sie an sich und vergrub das Gesicht in ihren Locken. „Wir sind sicher nach Hause gekommen.“
Auch das war keine Lüge. Er hatte nicht gesagt, dass er sich keine Sorgen gemacht hatte, aber Emmy-Lou war damit zufrieden. Sie gähnte. „Ich bin müde.“
„Dann trink nur deine Milch, dann bringe ich dich ins Bett.“ Annie wischte sich die Tränen aus den Augen und kam zum Tisch.
Wohlig seufzend schmiegte Emmy-Lou sich an ihren Vater. „Papa, dein Bauch knurrt ja wie ein hungriger Bär.“
„Dann sollte er sich jetzt auf einen Stuhl setzen und sein Abendbrot essen.“
Während Annie ihre Nichte ins Bett brachte, schaufelte Jakob schweigend sein Abendessen in sich hinein. Stiefel polterten die hinteren Verandastufen hoch. Dann hörten sie Phineas Stimme durch das offene Fenster flüstern: „Ich bin’s.“
„Komm rein“, erwiderte Jakob mit gedämpfter Stimme.
Hope goss ihm schnell eine Tasse Kaffee ein und füllte Jakobs Tasse nach. Phineas ließ sich auf seinen angestammten Platz am Tisch plumpsen, und Hope wusste nicht, ob sie sich auch setzen oder doch lieber am Herd stehen bleiben sollte, damit sie in Bewegung bleiben konnte. Jakob schaute auf ihren Stuhl und nickte, und sie setzte sich.
Die Uhr tickte.
Oben konnte man Annie murmeln hören. Emmy-Lou schien schon fast eingeschlafen zu sein.
Endlich legte Jakob seine Gabel ab. „Die Brille wird ihr etwas helfen, aber wir wissen nicht, wie lange. Irgendetwas stimmt nicht. Meine Emmy-Lou ...“ Sein Adamsapfel hüpfte, als er versuchte, seinen Schmerz herunterzuschlucken. „Alles könnte so bleiben, wie es jetzt ist, aber sie könnte auch irgendwann blind werden.“
„So“, sagte Phineas.
„Nein“, jammerte Hope.
„Der Doktor hat gesagt, dass man nichts machen kann.“ Jakob fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Es hätte mir schon viel früher auffallen müssen.“
„Wenn man nichts tun kann“, Hope schaute ihn an, „was hätte das denn gebracht?“
„Ich wäre dann vorsichtiger mit ihr gewesen. Wenn ich es gewusst hätte, wäre sie nie in das Brunnenloch gefallen!“
„Das ist doch nicht dein Ernst.“ Ungeduldig trommelte Phineas mit den Fingern auf den Tisch. „Wie oft haben wir dem Herrn dafür gedankt, dass er sie gerettet hat? Willst du dir jetzt die Schuld für etwas geben, wofür wir Gott immer gelobt haben?“
Jakob schien die Worte gar nicht gehört zu haben. Stattdessen starrte er in die Lampe. „Meine Tochter weiß gar nicht, dass der Mond kein Stern ist. Sie denkt, es gibt nur den einen Stern. Noch nie hat sie dieses großartige Kunstwerk am Himmel gesehen und sie wird es auch nie sehen können. Und das ist erst der Anfang. Sie wird so viele Sachen verpassen.“
„Einen Moment mal.“ Hope stützte die Ellenbogen auf den Tisch und beugte sich nach vorn. „Ihre kleine Tochter ist schlau wie ein Fuchs. Sie wird die Sachen schon mitbekommen. Das mit dem Mond und den Sternen – ich kann schon verstehen, wie das passiert ist. Überlegen Sie mal. Für mich sind Sie Mr Stauffer, für Phineas Jakob, für Annie sind Sie der Bruder und für Emmy-Lou sind Sie der Papa. Ich schätze, wenn eine Person schon so viele Sachen gleichzeitig sein kann, dann geht das auch beim Mond. Emmy-Lou hat einfach gedacht, Stern ist ein anderes Wort für Mond. Ihr Lied, in dem geht es um einen Stern. Die Bibel erzählt uns von einem Weihnachtsstern. Sie hat sich das Ganze einfach selbst erklärt.“
„Was spielt das für eine Rolle?“ Mr Stauffer schob seinen Teller von sich. Das Geräusch war unglaublich laut in der totenstillen Küche. „Sie kann sie nicht sehen. Und sie wird sie auch nie sehen. Wie konnte Gott so etwas mit meiner kleinen Tochter machen? Er hat ihr schon die Mutter und den kleinen Bruder genommen. Und jetzt nimmt er ihr auch noch das Augenlicht?“
„Du hast gesagt, dass vielleicht auch alles so bleibt, wie es jetzt ist.“ Phineas trommelte immer noch mit den Fingern auf den Tisch. „Lass uns dafür beten. Gott könnte alles so belassen. Sie kommt doch gut zurecht, und mit der Brille –“
„Darauf kann ich mich nicht verlassen. Selbst mit der Brille sieht sie nicht so gut wie wir. Warum? Warum tut Gott so was?“
Zögernd schob Hope
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