Ein sicheres Haus
darüber nachdenke, desto schlimmer wird es. Sie wollte nicht zur Beerdigung gehen.
Ich sah das als Symptom. Sie wollte alle Kleider der echten Finn verbrennen. Das sah ich als therapeutischen Akt. Sie blieb immer ganz vage in bezug auf ihre Vergangenheit. Ich habe das als notwendige Phase betrachtet. Sie hat mir anvertraut, daß sie sich nicht mehr mit ihrem früheren, fetten Selbst verbunden fühlte, und ich sah das als Hinweis auf ihre Fähigkeit, gesund zu werden.«
Endlich blickte Rupert von seiner Zeichnung auf.
»Lassen Sie sich davon nicht unterkriegen, Sam«, sagte er.
»Sie sind Ärztin, kein Detektiv. Das Leben ist, wie es ist, weil die meisten von uns glauben, daß die Menschen, mit denen wir es zu tun haben, keine Psychopathen oder Betrüger sind.« Er schaute Chris an. »Leider sind wir diejenigen, die Detektive sein sollten.«
»Aber was wäre geschehen?« fragte ich.
»Was meinen Sie?«
»Nach dem falschen Selbstmord von Finn.«
»Alles sehr einfach«, sagte Chris. »Daley kriegt das Geld.
Dann, ein oder zwei Jahre später, würden wir Gerüchte hören, so etwas in der Art: Der arme Daley hat sich den anonymen Spielern angeschlossen, ist auf die schiefe Bahn geraten, hat die Hälfte seines Vermögens oder so auf der Rennbahn verloren.
Und in Wirklichkeit hat er die Hälfte zu Bargeld gemacht, um X
auszuzahlen.« Chris hob resigniert die Hände.
»Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wer diese junge Dame sein könnte?« fragte ich. »Eine Patientin? Eine alte Freundin?
Eine frühere Geliebte?«
Keiner antwortete.
»Vielleicht hat sie ein Vorstrafenregister«, meinte ich.
»Wie sollen wir das feststellen?« fragte Rupert tonlos. »Wir haben nur ein einziges Verbindungsglied zu ihr.«
»Und das wäre?«
»Sie.«
»Wovon reden Sie?«
»Sie kannten sie besser als alle anderen.«
»Sind Sie verrückt? Ich kannte sie überhaupt nicht.«
»Alles, was wir verlangen«, sagte Chris, »ist, daß Sie nachdenken. Sie brauchen uns jetzt nichts zu sagen. Versuchen Sie sich einfach nur zu erinnern, an irgend etwas, irgend etwas, was sie vielleicht gesagt oder getan hat, das einen Hinweis auf ihre wahre Identität geben könnte.«
»Da kann ich Ihnen gleich antworten. Ich habe tagelang alle Erinnerungen durchforstet, alles, was sie mir gesagt hat, jedes Gespräch, an das ich mich erinnern kann. Es war alles gespielt.
Was soll ich sagen? Sie konnte kochen. Sie konnte einfache Zaubertricks vorführen. Aber je mehr ich nachdenke, desto mehr entgleitet sie mir. Alles, was sie gesagt und getan hat, geschah nur, um mir Sand in die Augen zu streuen. Wenn ich dahinterschauen will, ist sie nicht da. Ich fürchte, ich bin keine große Hilfe. Also, was werden Sie jetzt tun?«
Rupert stand auf und reckte sich, wobei seine Hand die Kunststoffplatten der Decke berührte.
»Wir werden ermitteln.«
»Wann geben Sie bekannt, daß Sie den Fall wieder aufgenommen haben?«
Bildete ich mir das ein, oder holte er tatsächlich tief Luft, um sich für das zu stählen, was er sagen wollte?
»Wir geben es nicht bekannt.«
»Warum nicht?«
Rupert räusperte sich.
»Nach Beratungen auf höchster Ebene haben wir entschieden, daß unsere Aussichten vielleicht besser sind, wenn die Mörderin nicht weiß, daß wir hinter ihr her sind. Das Geld ist ihr entgangen. Vielleicht macht sie einen Fehler.«
»Und wenn, wie würden Sie das merken?«
Rupert murmelte etwas.
»Rupert«, sagte ich scharf, »heißt das, daß Sie den Fall auf sich beruhen lassen?«
Er sah schockiert aus.
»Natürlich nicht, diese Anschuldigung ist unter Ihrer Würde, aber ich weiß, Sie stehen unter Streß. Es ist bloß die effizienteste Vorgehensweise, und ich bin sicher, daß wir so am ehesten Resultate erzielen werden. Und jetzt haben wir, glaube ich, alles Wichtige besprochen. Wann gehen Sie nach London zurück?«
»Morgen.«
»Sie werden uns doch Ihre Adresse hinterlassen, oder?«
»Ja.«
»Gut. Wenn Ihnen irgend etwas einfällt oder wenn etwas geschieht, dann setzen Sie sich mit uns in Verbindung.« Er reichte mir die Hand.
»Wir sind Ihnen sehr dankbar, Sam, weil Sie es uns ermöglicht haben, diesen tragischen Ereignissen auf den Grund zu gehen.«
Ich nahm seine Hand.
»Freut mich, daß Sie dankbar sind, Rupert. Und wenn ich jemals den Verdacht haben sollte, daß dieser Fall unter den Teppich gekehrt wird …«
»Vertrauen Sie uns«, sagte Rupert. »Vertrauen Sie uns.«
Blinzelnd trat ich in die Fußgängerzone am Rand des
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