Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
Marktplatzes hinaus und prallte gegen eine alte Frau. Dabei stieß ich die Einkaufstasche auf Rädern um, die sie nachzog.
    Während ich Zwiebeln und Karotten vom Bürgersteig aufsammelte, fühlte ich mich wie ein Kind, das aus einem Traum erwacht und überrascht feststellt, daß die Welt sich unbeeindruckt weiterdreht. Und doch spürte ich, daß ich mich noch in meinem hermetischen Traum befand. Es gab Orte, die ich noch aufsuchen mußte.

    37. KAPITEL
    Es folgte ein Wochenende mit Umzugskartons, einem interessierten Kind, einer verstörten Katze, einem großen Möbelwagen, zu Flirts aufgelegten Möbelpackern, Bechern voll Tee, Verabredungen, Schlüsselbunden, einem gemieteten Lagerraum und ungefähr fünf Prozent meiner Sachen in der vorübergehend angemieteten Wohnung.
    Von all den Aufgaben waren zwei besonders wichtig. Erstens hatte ich eine Liste mit Anfragen für Interviews. Ich blätterte sie durch und rief ein paar Freunde an, die Zeitungen lasen, um sie um Rat zu fragen; am Montag morgen rief ich dann Sally Yates von The Participant an. Innerhalb einer Stunde saß sie mit einem Becher Kaffee, Notizblock und gespitztem Bleistift in der Küche des Mannes, der für ein Jahr in Amerika arbeitete und mir bis dahin die Wohnung überlassen hatte. Yates war mollig, zerknittert, mitfühlend und sehr sympathisch und machte beim Reden lange Pausen, die ich vermutlich mit Geschichten über mein Privatleben füllen sollte. Aber einem Profi kann man nichts vormachen. Ich hatte genug Erfahrung im Interviewen verletzter Menschen, um einigermaßen glaubwürdig die edelmütig leidende Frau darzustellen. Ich war nicht so beeindruckend wie Finn, wie X, aber ich machte es ganz gut. Ich hatte die harmlosen Enthüllungen, die ich mir entlocken lassen würde, vorher genau zurechtgelegt – Enthüllungen über die Trauer, einen Geliebten zu verlieren, über Verbrechen und physische Angst, über den Schmerz und die Ironie, die darin lagen, daß eine Trauma-Spezialistin selbst unter einem Trauma litt: »Es gibt in der Medizin die Maxime, daß man die Störung, auf die man sich spezialisiert hat, immer selbst entwickelt«, sagte ich mit einem traurigen Lächeln und einem Schniefen, als würde ich gleich eine Träne vergießen.

    Dann, ganz am Schluß, kam die Aussage, derentwegen ich das ganze Interview überhaupt gab.
    »Nachdem Sie nun all dem entronnen sind …«, sagte Sally Yates mitfühlend und ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen, damit ich den Faden aufnehmen konnte.
    »Ach, Sally«, sagte ich, »als Ärztin und als Frau frage ich mich, ob wir jemals Erfahrungen ausweichen können, indem wir einfach vor ihnen davonlaufen.« Ich machte eine lange Pause, scheinbar zu erschüttert, um weitersprechen zu können, ohne die Beherrschung zu verlieren. Sally griff über den Küchentisch und legte ihre Hand auf meine. Wie unter großen Mühen begann ich weiterzusprechen: »Das war eine persönliche Tragödie und –
    was die neue Klinik für posttraumatische Persönlichkeitsstörungen betrifft – auch eine berufliche Niederlage, und im Mittelpunkt stehen Menschen, die nicht das waren, was sie zu sein schienen.«
    »Sie meinen Dr. Michael Daley?« fragte Sally und runzelte tief betroffen die Stirn.
    »Nein«, sagte ich, und als sie mich fragend ansah, machte ich mit einer Geste deutlich, daß ich nicht mehr sagen konnte.
    Als wir auf dem Treppenabsatz standen und uns verabschiedeten, umarmte ich sie.
    »Ich gratuliere Ihnen«, sagte ich. »Sie haben mich dazu gebracht, Dinge zu sagen, die ich gar nicht hatte sagen wollen.«
    Sie errötete vor Freude, unterdrückte das aber rasch.
    »Es war etwas ganz Besonderes, Sie kennenzulernen«, sagte sie und umarmte mich noch fester als ich sie.
    Die Zeitung versprach sich offenbar viel von mir, denn weniger als zwei Stunden später erschien ein Fotograf. Der junge Mann war enttäuscht, daß er meine Tochter nicht antraf, und stellte mich neben eine Vase mit Blumen. Seelenvoll schaute ich auf die Blumen und rätselte, welche es wohl waren.

    Am nächsten Tag wurde ich durch ein großes Foto und eine Schlagzeile überrascht: »Sam Laschen: weibliches Heldentum und ein Geheimnis, das nicht sterben will«. Nicht besonders packend, aber es war ein Schuß vor den Bug von DCI Baird und seiner fröhlichen Mannschaft. Beim nächstenmal würde ich mich weniger geheimnisvoll geben.
    Die zweite Aufgabe fiel mir bedeutend schwerer. Eine Freundin hatte mir vage die Dienste ihres Babysitters für

Weitere Kostenlose Bücher