Ein sicheres Haus
sicher war. Ich konnte den dunklen Schatten seines Bartwuchses, seine geschwungene Oberlippe, die großen Pupillen seiner grauen Augen sehen.
»Ich würde Sie nicht in Gefahr bringen, Sam«, sagte er leise und starrte mich an.
Ich brachte ein Grinsen zustande.
»Michael, könnten wir vielleicht ins Kino gehen, wenn wir uns das nächste Mal treffen?«
20. KAPITEL
Auf dem Rückweg zum Haus saßen Michael und ich schweigend im Auto. Ich hatte das Gefühl, ihn enttäuscht zu haben, und ich hasse es so sehr, jemanden zu enttäuschen, daß ich dann immer schlechte Laune bekomme. Ich fürchtete, ich würde schroff zu ihm sein, und ich wollte nichts sagen, was ich später vielleicht bereuen könnte. Deshalb schwieg ich lieber. Er legte eine Kassette mit klassisch klingender Musik ein, und ich tat so, als hörte ich zu. Die Dämmerung ging in Dunkelheit über, und während wir über die Straßen glitten, die der Küstenlinie folgten, sah ich gelegentlich das erleuchtete Innere von Häusern.
Die Dunkelheit verbarg die öde Landschaft und ließ die Gegend fast so beruhigend wirken, wie man es auf dem Land erwartet.
Als wir ankamen, spürte ich, daß der Vulkan in meiner Brust wieder erloschen war. Ich holte tief Luft.
»Ich glaube nicht, daß ich zum Segler geboren bin.«
»Sie haben sich ganz gut gehalten.«
»Ja, ich weiß. Und Admiral Nelson war jedesmal seekrank, wenn er aufs Meer hinaus mußte. Aber es war wirklich nett von Ihnen, mich mitzunehmen.« Michael sagte nichts, fast ein Lächeln auf dem Gesicht, und ich plapperte weiter, um die Leere zu füllen. »Wir können es ja ein andermal wieder versuchen. Ich bin sicher, daß ich meine Sache dann besser machen werde.«
Verdammter Mist. Worauf hatte ich mich da eingelassen?
Aber Michael schien zufrieden.
»Das würde ich sehr gern tun«, sagte er.
»Und bald werde ich dann das Halsen und Wenden und all das wie nichts beherrschen!«
Er lachte, und wir stiegen aus und gingen zum Haus. Dabei nahm er meinen Arm. Es war jetzt dunkel, und durch das Fenster konnte ich Bewegung im Haus sehen. Ich trat näher heran und schaute hinein. Ein Feuer brannte. Danny saß neben dem Kamin in einem Sessel. Er wandte mir den Rücken zu, und ich konnte nur seinen Hinterkopf und die Bierflasche sehen, die er mit der rechten Hand auf der Armlehne des Sessels hielt.
Aber ich wußte, welchen Gesichtsausdruck er hatte. Er starrte verträumt in die Flammen, Elsie war im Schlafanzug, das Haar gewaschen und ordentlich gekämmt. Ihr Gesicht war rot und fleckig vor Erregung und dem Widerschein der Flammen. Sie stapelte ihre hölzernen Bauklötze aufeinander. Ich konnte nichts hören, aber ich sah, daß sich ihre Lippen ständig bewegten. Sie sprach zu Finn, die neben ihr lag, ebenfalls mit dem Rücken zu mir. Ob Finn antwortete, konnte ich nicht sehen. Vermutlich lag sie einfach nur mit halbgeschlossenen Augen da. Ich argwöhnte, daß Elsie auf Finns Sinn für Ruhe und auf ihre Jugend reagierte.
Sie waren zwei Mädchen, die eine Art Gemeinschaft bildeten, zu der ich nie gehören würde. Es war eine hübsche Szene, so hübsch, daß ich mich fast ausgeschlossen fühlte. Oder fühlte ich mich schuldig, weil ich fort gewesen war?
Eine Hand auf meiner Schulter. Michael.
»Idyllische Familienszene«, sagte ich etwas ironisch.
Michael ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Er schaute fasziniert durch das Fenster. Sein Kinn drückte Zufriedenheit aus.
»Das sind Sie, wissen Sie«, sagte er.
»Was meinen Sie?«
»Als ich zuerst mit der Polizei sprach und wir herumfragten, sagten alle, wie wunderbar Sie wären. Und das waren Sie auch.
Ich kann gar nicht glauben, was Sie bei Finn erreicht haben.«
Ich runzelte die Stirn und stieß Michael spielerisch zurück.
»Sie brauchen mir nicht zu schmeicheln, Dr. Daley. Übrigens habe ich keinerlei Therapie gemacht. Alles, was Finn erreicht hat, hat sie allein erreicht.«
»Sie unterschätzen sich.«
»Ich habe mich noch nie in meinem Leben unterschätzt.«
»Sie irren sich, wissen Sie. Als Allgemeinarzt frage ich mich oft, wie unser Job vor hundert Jahren aussah, als es noch keine Antibiotika gab, kein Insulin, bloß Morphin, Digitalis und ein oder zwei andere Dinge. Ein Arzt hatte fast nichts in seiner Tasche, um den Verlauf einer Krankheit zu beeinflussen. Er war ein Heiler. Er saß bei seinem Patienten, und seine Gegenwart half dem Kranken, vielleicht nur, weil er ihm die Hand hielt.«
Michaels Gesicht war jetzt nur Zentimeter von meinem
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