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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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in einem riesigen Pappbecher mit zwei gestreiften Strohhalmen darin. Sie sahen einen Zeichentrickfilm, der vor meinen Augen verschwamm, als ich den Blick in die Ferne richtete; sie saßen rechts und links von mir, und beide hielten meine Hand. Ihre Finger waren klebrig, ihre Köpfe an meine Schultern gelehnt. Die Luft war abgestanden. Ich versuchte im gleichen Rhythmus zu atmen wie die Kinder, aber ich konnte es nicht. Mein Atem ging stoßweise und schmerzte in den Lungen. Ich setzte die Sonnenbrille wieder auf, als wir das Foyer erreichten.

    »Mummy?«
    »Ja, mein Schatz?« Kirsty hatten wir sicher wieder bei ihrer Mutter abgeliefert, und wir fuhren durch milchige Dämmerung nach Hause.
    »Kennst du das Video«, Elsie sprach es Vidjo aus, ein Überbleibsel ihrer Babysprache – wie das letzte schwache, braune Blatt an einem Baum –, »von dem Löwen und der Hexe?«
    »Ja.«
    »Wenn er von der bösen Hexe umgebracht wird und bei den Mäusen liegt?«
    »Ja.«
    »Und dann wird er wieder lebendig. Ja, das wird er. Also …«
    »Nein. Danny und Finn kommen so nicht zurück. Wir werden sie vermissen, und wir werden uns an sie erinnern, und dann werden wir miteinander über sie sprechen; du kannst mit mir über sie reden, wann immer du willst, und hier sind sie dann nicht tot.« Ich legte eine Hand auf mein pochendes Herz. »Aber wiedersehen werden wir sie nicht.«
    »Wo sind sie denn jetzt? Sind sie jetzt im Himmel?«
    Verkohlte Fleischklumpen, grinsende Schädel mit ausgebrannten Augen, Gesichtszüge, die sich gräßlich verformen und dann auflösen, geschmolzene Glieder auf einem Metalltablett in einem Kühlschrank ein paar Kilometer von der Stelle entfernt, an der sie gefunden wurden.
    »Ich weiß nicht, mein Schatz. Aber sie haben jetzt Frieden.«
    »Mummy?«
    »Ja.«

    »War ich mutig, den Kopf unter Wasser zu halten?«
    »Das war sehr mutig. Ich war stolz auf dich.«
    »Mutig wie ein Löwe.«
    »Mutiger.«

    Als wir auf das Haus zufuhren, sah es aus, als fände dort eine Party statt. Helle, weiße Lichter schimmerten, eine Reihe von Autos stand davor. Wir hielten an, und ich berührte sanft mit dem Finger Elsies Nasenspitze.
    »Piep«, sagte ich. »Wir werden jetzt an diesen vielen Männern mit ihren Kameras und Tonbandgeräten vorbeirennen. Leg den Kopf auf meine Schulter, und dann schauen wir mal, ob ich zur Haustür komme, bevor du bis hundert gezählt hast.«
    »Eins, zwei, ein paar lasse ich aus …«

    »Dein Vater und ich denken, du solltest für ein paar Tage zu uns kommen und hierbleiben, bis sich der ganze Trubel gelegt hat.«
    »Mum, das ist …«, ich hielt inne und suchte nach Worten …,
    »das ist nett von euch, aber es geht mir gut. Wir müssen hierbleiben.«
    Meine Eltern waren gleich nach uns gekommen. Sie marschierten ins Haus wie zwei Wächter, rechts, links, rechts, links, Kopf hoch, Augen geradeaus. Ich war dankbar für ihre Unverwüstlichkeit. Ich wußte, wie sehr ihnen all das mißfallen mußte. Sie brachten einen Obstkuchen in einer großen braunen Blechdose, einen Blumenstrauß in Zellophan sowie Smarties und ein Malbuch für Elsie mit, die Malbücher haßt, Smarties aber liebt. Sie ging damit in die Küche, um sie gewissenhaft aufzuessen, eine Farbe nach der anderen, wobei sie die orangefarbenen bis zuletzt aufhob. Mein Vater zündete ein Feuer an. Er schichtete ordentlich dünne Stückchen über einen halben Zündwürfel und legte vier Scheite obenauf. Meine Mutter machte geschäftig Tee und stellte ein Stück Obstkuchen vor mich hin.
    »Dann laß uns wenigstens hierbleiben.«
    »Ich komme schon zurecht.«
    »Du kannst nicht alles allein machen.«
    Etwas im Ton meiner Mutter ließ mich zu ihr aufblicken.
    Hinter ihren Brillengläsern sahen ihre Augen feucht aus; ihre Lippen waren vor Rührung zusammengekniffen. Wann hatte ich sie zuletzt weinen sehen? Ich beugte mich auf meinem Stuhl vor und berührte linkisch ihr Knie unter dem dicken Wollrock.
    Wann hatte ich sie zuletzt berührt, abgesehen von den förmlichen Wangenküssen?
    »Laß es gut sein, Joan. Siehst du nicht, daß Samantha erschüttert ist?«
    »Nein! Nein, ich sehe nicht, daß sie erschüttert ist. Das ist es ja, Bill. Sie sollte erschüttert sein; sie sollte – sie sollte in tiefer Trauer sein. Ihre Freundin, ich habe ja immer vermutet, daß sie hinterhältig ist, und ich habe es dir an dem Tag gesagt, an dem wir sie kennengelernt haben, ihre Freundin und ihr Freund laufen zusammen weg und bringen sich im Auto um, es steht

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