Ein sinnlicher Schuft
Schläferin hoch, hielt sie fest. Sie wog nahezu nichts.
»Aufwachen, Miss Filby! Miss Filby?« Er schaute voller Sorge in ihr blasses Gesicht. Sie wirkte so schlaff.
»Pru«, flüsterte er. »Wach auf, Pru!«
Sie bewegte sich, und ihre Augenlider flatterten ein wenig, ohne sich jedoch zu öffnen. Er lehnte sie gegen seine Brust und führte die Schale mit der Brühe an ihre Lippen.
»Trinken Sie das, Pru«, drängte er. Gehorsam nahm sie einen kleinen Schluck, wollte dann sogleich wieder in den Schlaf sinken, aber Colin blieb hartnäckig, zwang sie Schluck für Schluck zum Trinken, während er ihr die ganze Zeit aufmunternde Worte zuflüsterte. Es würde ihm schwerfallen, nach dieser Vertraulichkeit zu den üblichen Umgangsformen zurückzufinden.
Nachdem die Schale zur Hälfte leer war, schmiegte sie sich an seine Brust und weigerte sich, noch einen Schluck zu nehmen. »Nein, Papa«, flüsterte sie. »Nicht mehr.«
»Papa?« Colin stieß ein trockenes Lachen aus. »Liegt es am Anzug?«, murmelte er. »Das war’s dann wohl. Ein neuer Anzug muss her.«
Statt einer Antwort kuschelte sie sich enger an ihn, und ihre Atemgeräusche zeigten ihm, dass sie erneut schlief. Immerhin hatte ihr Gesicht etwas Farbe bekommen, und ihr Körper fühlte sich weniger schlaff an.
Er strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn und betrachtete ihr Haar, das unter der Haube kaum zu sehen gewesen war. Es leuchtete in einem rötlichen Kastanienbraun, das im Kerzenlicht fast wie Feuer schimmerte. Er ließ die seidigen Strähnen durch seine Finger gleiten.
Colin musterte ihr Gesicht. Die scharfen Linien der Erschöpfung um Augen und Mund waren verschwunden, sodass sie mit einem Mal ziemlich jung aussah. Jünger und auch hübscher als zuvor.
Mit zusammengekniffenen Augen studierte er ihre eingefallenen Wangen und die hervorstehenden Knochen am Schlüsselbein. Mit einer Hand fuhr er ihren Arm herab und hob ihr Handgelenk an, das so unendlich schmal war, fast wie bei einem Kind.
Das alte Nachthemd, das Evan aus ihrem Koffer geholt hatte, war zu groß für ihre zierliche Gestalt, sodass es über die nackte Schulter gerutscht war. Colin kam sich merkwürdig dabei vor, als er es hochzog und dabei die Wärme ihrer Haut spürte. Es war eine irgendwie intime Geste, doch was sollte er tun? Hier sitzen und darauf warten, dass es ganz herunterrutschte? Dann allerdings hätte er viel, viel mehr zu sehen bekommen.
Etwas Animalisches rührte sich bei diesem Gedanken in ihm.
Ja, genau. Das solltest du tun.
Als würde sie spüren, was in ihm vorging, regte Prudence sich in seinen Armen, drückte sich enger an ihn, ihr Busen jetzt dicht an seinem Brustkorb, und schlang einen schlaffen Arm um seinen Oberkörper, schob eine Hand unter seine Weste.
»Es ist schön warm«, murmelte sie.
War er immer noch »Papa«? Oder träumte sie, neben ihrem Liebhaber zu liegen? Falls sie jemals einen gehabt hatte. Aber das brauchte ihn weiß Gott nicht zu interessieren.
Ein leichter Duft stieg von ihr auf, wie sie da warm und weich in seinen Armen lag. Er reizte seine Sinne, schlich sich in sein Bewusstsein, bis er darauf brannte zu erfahren, was es war. Mit einem Blick auf die schlafenden Kinder neigte Colin den Kopf und atmete den Duft tief ein, um ihn zu entschlüsseln. Sie roch sauber und angenehm, nach… Ja, nach was nur? Ein bisschen frisch und ein bisschen wild und zugleich beruhigend vertraut.
Der Geruch erinnerte ihn an die Gärten seiner Kindheit, als er über die Beete gerannt war. Er stieg besonders immer dann vom Boden auf und kitzelte würzig-scharf seine Nase, wenn seine Schuhsohlen etwas zertreten hatten…
Minze? Ja, sie roch nach frisch zerriebenen Minzblättern und nach noch etwas… Er atmete erneut tief ein, schloss die Augen. Nach etwas Warmem, Weiblichem…
Nach Minze… und nach ihr selbst.
Sein Körper reagierte. Das Pochen in seinem Glied verstärkte sich, seine Männlichkeit schwoll an, füllte seine Hose und benebelte sein Hirn.
Es war lange her, dass er einer Frau so nahe gekommen war. Jahre, um genau zu sein. Zuletzt kurz bevor er in jener feuchten Gasse im Morgennebel gestanden und Chantals Namen gerufen hatte.
Nein. Miss Filby war tabu.
Tabu, weil sie eine einfache Frau und er ihr Dienstherr war und niemals etwas mit dem Personal anfing. Und weil sie nicht allein waren.
Er schaute hinüber zu den Kindern, die vor dem Kamin schliefen. Er würde Melody heute Nacht mit in sein Zimmer nehmen müssen, dabei hatte er eigentlich
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