Ein Sixpack zum Verlieben (German Edition)
nächste kommt erst wieder in einer Stunde. Bis dahin ist Helene längst munter und an ein problemloses Fortkommen nicht mehr zu denken. Ein Taxi zu rufen, ist ebenfalls zu zeitraubend und auffällig. Kurzfristig zu fliegen, kommt nicht infrage.
In diesem Moment der Verzweiflung fällt Lauras Blick auf das Schlüsselbrett im Flur. Der Motorradschlüssel der Harley sticht aus allen hervor, weil Manfred als Anhänger einen überdimensionalen Eiffelturm daran gehängt hat. Sollte Laura es wagen, mit der Maschine nach Köln zu düsen? Nein, das wäre viel zu riskant, denn seit der Schwangerschaft ist sie nie wieder Motorrad gefahren. Trotzdem scheint es die einzige Möglichkeit zu sein, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Leise schleicht sich Laura zurück ins Schlafzimmer und öffnet Manfreds Kleiderschrankseite. Dort hängt seine Motorradkluft. Natürlich ist sie ihr viel zu groß. Manfred misst vom Umfang fast das Doppelte von seiner Frau. In Windeseile schlüpft sie in den Lederanzug, die Hosenbeine hochkrempelnd. Mit einem Gürtel um die Hüfte wird es einigermaßen gehen. Bequeme Kleidung fühlt sich allerdings anders an. Zum Glück hat Laura ihre alten Motorradstiefel aus Nostalgie nicht entsorgt wie ihren eigenen Motorradanzug, als sich Max ankündigte. Damals ging sie davon aus, sowieso nie wieder auf einen Feuerstuhl zu steigen.
Mit inzwischen vor innerer Anspannung puterrot gefärbtem Antlitz erreicht Laura die Garage. Jetzt muss alles sehr schnell gehen, damit Helene nicht durch das Geräusch des elektrischen Tors vorzeitig aufwacht.
Die Abenteuerlustige befestigt ihre Reisetasche auf dem verchromten Gepäckständer. Hoffentlich kann sie sich auf der Maschine überhaupt halten. Manfreds Helm passt einigermaßen. Mit einem Schwung sitzt Laura auf, und wie in Trance startet sie das Motorrad. Ohne weiter nachzudenken, gibt sie Gas und braust davon. Zu ihrem eigenen Erstaunen hat sie offensichtlich nichts verlernt. Es ist wie Radfahren oder Schwimmen. Selbst wenn man das jahrzehntelang nicht macht, fällt man nicht vom Rad oder ertrinkt.
Als sie außer Reichweite des Hauses ist, hält sie an. Manfred hat sich natürlich ein Navi gegönnt, das Laura zu bedienen versucht. Nach einigen Fehleingaben klappt es endlich. Kann es wahr sein? Sie befindet sich mit der Harley auf dem Weg nach Köln zu Kerstin? Auf einmal fühlt sie sich frei wie ein Adler in der Luft. Sie hat es geschafft!
Auf der Autobahn fährt sie zunächst nicht mehr als hundert Stundenkilometer, um sich erst wieder ans Motorrad zu gewöhnen und die Landschaft zu genießen. Der erste Teil der Strecke bis München beschert einen herrlichen Ausblick auf die Alpen. Glücklicherweise spielt auch das Wetter mit. Die Sonne scheint vom Himmel, und keine Wolke trübt den Blick auf den Wendelstein, den Hausberg von Bad Hollerbach. Schon eine halbe Ewigkeit ist Laura nicht mehr hinaufgestiegen, denn durch die Zahnradbahn auf der einen Seite und der Gondel auf der anderen, ist der Berg zu jeder Jahreszeit ein Touristenmagnet. Laura bevorzugt daher die unbekannteren Berge, wo man noch relativ einsam die Natur und das Kuhglockengeläut genießen kann.
Ihre Euphorie hält die ersten beiden Stunden uneingeschränkt an, bis sich plötzlich wie aus dem Nichts in der Hallertau ein Stau entwickelt. Das Navi empfiehlt, von der Autobahn abzufahren und über die Landstraße den Stau zu umgehen.
Warum nicht ?, überlegt Laura nicht lange. Auf diese Weise lernt sie eine neue Gegend kennen, die sie sicher so schnell nicht mehr zu Gesicht bekommen wird. Außerdem ist es sehr früh am Tag, und vielleicht findet sie ein idyllisches Plätzchen zum Frühstücken, denn ein Schluck Kaffee wäre nicht schlecht. Schon einige Kilometer nach der Autobahnausfahrt taucht ein Hinweisschild zu einer Mühle mit Gaststätte auf. Das ist bestimmt ein guter Ort, um eine Pause einzulegen. Laura zögert nicht lange und biegt nach links ab, den Schildern folgend. Hoffentlich liegt das Lokal nicht zu weit von der Landstraße entfernt, denn große Umwege möchte die Motorradfahrerin nicht unbedingt machen. Aber sie freut sich schon sehr auf einen Kaffee mit aufgeschäumter Milch und eine Semmel mit Marmelade. Und vielleicht ein Omelett mit Schinken? Bei dieser Vorstellung läuft ihr das Wasser im Mund zusammen. Wann hat Laura das letzte Mal ein Frühstück serviert bekommen? Die Urlaube hatten sie die letzten Jahre immer in Ferienhäusern verbracht, meistens in Italien, das man von Bad
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