Ein skandaloeser Kuss
es nicht nachtragen.“
Das mochte stimmen, aber sie war nicht die Tochter eines Dukes.
Und schlimmer, sie war viel zu sehr versucht gewesen, auf Lord Granshires Bestechung einzugehen und seinen Sohn für die Ehe mit ihr zu gewinnen, ohne Rücksicht auf die Folgen.
„Worum ging es bei dem Streit?“ Lord Bromwell setzte sich ihr gegenüber.
Warum sollte sie es ihm nicht sagen? Damit er Bescheid wusste, wenn der Earl es bei einer anderen jungen Dame wieder versuchte. „Ist Ihnen klar, wie entschlossen Ihr Vater ist, Sie verheiratet zu sehen?“
„Es ist sein wichtigstes Lebensziel, und er ist bereit, sehr weit zu gehen, um es zu verwirklichen, egal ob ich einverstanden bin oder nicht“, erwiderte Bromwell grimmig. „Wie viel ist er inzwischen bereit, dafür zu zahlen? Vor meiner letzten Expedition war der Preis bis auf fünftausend Pfund gestiegen, glaube ich. Allerdings wird er ein bisschen gesunken sein, nachdem ich nun berühmt bin. Vielleicht hofft er auf einen schnellen Handel, damit er unsere Verlobung auf dem Jägerball bekannt geben kann.“
„Wie kann er so etwas tun?“, fragte sie fassungslos, war jedoch gleichzeitig erleichtert, dass der Viscount über die Machenschaften seines Vaters Bescheid wusste. „Wie kann er so wenig Verständnis für die Verdienste seines Sohnes haben, dass er glaubt, eine Frau bezahlen zu müssen, damit sie Sie heiratet?“
„Er ist ein Mensch mit festen Vorstellungen, und ich war schon als Kind eine Enttäuschung für ihn. In seinen Augen bin ich ein schwacher, kränklicher Kerl mit sonderbaren Vorlieben, der jederzeit sterben kann.“
„Das entschuldigt nicht, wie er Sie behandelt.“
„Nein“, pflichtete Lord Bromwell ohne Bitterkeit bei. „Aber es erklärt es.“
Sie errötete, und sie schämte sich mehr denn je, die Beherrschung verloren zu haben. Offenbar brauchte der Viscount niemanden, der für ihn eintrat. „Ich fürchte, ich habe ihn gründlich abgekanzelt, ehe ich aus der Bibliothek gerauscht bin und ihn einfach stehen ließ.“
Bromwell sah sie ungläubig an. „Sie haben ihn stehen lassen?“
„Ja. Wahrscheinlich wird er nun darauf bestehen, dass ich abreise.“
Das Erstaunen in Lord Bromwells Miene wich einem nachdenklichen Ausdruck. „Vielleicht nicht. Er ist aufbrausend, regt sich aber genauso schnell wieder ab. Mit anderen Worten, er ist nicht nachtragend, allerdings ein bisschen unberechenbar. Da Sie jedoch glücklicherweise die Tochter eines Dukes sind, wird er, glaube ich, so tun, als wäre überhaupt nichts zwischen Ihnen vorgefallen.“
Bromwell lächelte beruhigend und nahm den Kessel vom Haken. Dann goss er den Tee mit der gleichen wohlüberlegten Sorgfalt auf, mit der er seine Forschungen betrieb.
Auf einmal fiel sein Blick auf die beiden Bücher auf dem Büfett, und er stellte den Kessel ab.
„Wie weit sind Sie mit der Lektüre von Dianas Roman?“, fragte er, da ihr Buch zuoberst lag. „Er ist spannend, nicht wahr?“
„Ich habe angefangen, ihn zu lesen, doch dann fand ich eine andere Lektüre, die ich vorzog.“ Nell erhob sich und trat neben ihn. Sie schob Graf Kolokovskys Schloss zur Seite, sodass der Titel des darunterliegenden Buches zu sehen war.
Lord Bromwell wurde rot und lächelte, während er sich angelegentlich mit dem Tee befasste.
„Ihr Vater hat ein Exemplar behalten“, sagte Nell und setzte sich wieder.
„Offenbar.“
„Sie schreiben wunderbar anschaulich, Sir. Es ist, als wäre man unmittelbar dabei, als wäre man an Ihrer Seite bei all den schönen und schwierigen Erlebnissen, die Sie schildern. Und bis ich Ihnen begegnete, war mir nicht klar, dass es so unendlich viele Spinnenarten gibt.“
Sein Lächeln wurde breiter, obwohl er sie nach wie vor nicht ansah. „Darum habe ich das Buch geschrieben, damit mehr Menschen sie kennen- und schätzen lernen. Und nicht nur die Spinnen, sondern die ganze herrliche Pflanzen- und Tierwelt und die vielen verschiedenen Völker der Erde. Die Mannigfaltigkeit des Lebens ist erstaunlich.“
Er reichte ihr die unversehrte Tasse mit dem Tee, nahm selber die angeschlagene und setzte sich wieder auf den Stuhl gegenüber.
„Ich habe übrigens gute Neuigkeiten für Sie.“ Er konnte nicht ahnen, dass sie immer weniger das Gefühl hatte zu verdienen, was er für sie tat. „Ich bat meinen Freund, den Strafverteidiger, Ihren Fall – natürlich ohne Ihren Namen zu nennen – einem der besten Rechtsanwälte Londons vorzutragen, und vielleicht gibt es die
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