Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
geriet ganz schnell in einen schlechten Ruf, weil alle dachten, sie sei leicht zu haben. Leider erkannte sie nicht, was da vor sich ging – gab sich dem Trugschluss hin, noch beliebter zu sein als früher. Ich fand später heraus, dass einige Männer Wetten abgeschlossen hatten, wer es wohl schaffte, sie als Erster zu bekommen und sie damit vollends zu ruinieren.«
»Aber du nicht.«
»Nein, ich nicht. Allerdings bereitete ich dem Ganzen auch kein Ende. Als dann ihr Vater starb und sie völlig mittellos zurückblieb, verlor sie noch die letzten Freunde. Und weil sie sich irgendwie ihren Lebensunterhalt verdienen musste, verdingte sie sich als Gesellschafterin bei meiner Großmutter.«
»Und dort lernte sie dann deinen Bruder kennen und verliebte sich in ihn.«
»Ja, nur kam bei dieser Gelegenheit die ganze Geschichte heraus und welche Rolle ich dabei gespielt hatte.«
Sie ließ sich entspannt nach hinten sinken und meinte: »Du hättest nicht zugelassen, dass sie deinetwegen völlig in Misskredit geraten wäre.«
Er biss die Zähne zusammen. »Du tust es schon wieder, Susanna. Du unterstellst mir dauernd edle Motive. Ich befand mich einfach in einer Zwickmühle, wusste nicht, was richtig war. Und Simon ebenfalls nicht.«
»Am Ende hat sich schließlich alles zum Guten gewendet. Dein Bruder und seine Frau scheinen doch sehr glücklich zu sein, oder? Und so schlecht, wie du tust, bist du bestimmt nicht. Du hast mich immerhin geheiratet, obwohl es keinen sicheren Beweis dafür gab, dass man uns wirklich beobachtet hat.«
Er kehrte ihr den Rücken zu und setzte sich auf die Bettkante. Sie rutschte zu ihm, schlang die Arme von hinten um seinen Hals und schmiegte sich an ihn, wobei nur der dünne Stoff ihres Nachthemds sie voneinander trennte.
»Leo, ich glaube, du weißt selbst nicht, wer du bist. Da gibt es diesen Unglücksfall in deiner Kindheit, an den du dich nicht erinnern kannst, deine schrecklichen Träume, deine Weigerung, ernsthafte Interessen zu zeigen – das hängt alles irgendwie zusammen.«
Sie spürte seinen Widerstand, denn sein Körper versteifte sich.
»Du hast dein ganzes Leben lang Menschen auf Abstand gehalten, während du den charmanten Schuft spieltest. Aber bei einer Ehefrau geht das nicht, Leo.«
»Mit meiner Ehefrau geht eine ganze Menge nicht … Ich schaffe es ja nicht einmal, dass sie nackt, wie es sich gehört, in meinem Bett liegt«, erwiderte er finster.
Sie küsste seinen Hals und dann die Stelle unter dem Ohr. »Du willst doch bestimmt nicht, dass dir in unserer Ehe alles leichtgemacht wird. Wir stellen beide eine Herausforderung füreinander dar, und ich werde bis zum Ende an dieser Wette festhalten.« Sie drückte ihn fester an sich. »Da du nicht mehr der verängstigte Junge von damals bist, haben die bösen Erinnerungen keine Macht über dich.«
Er drehte den Kopf und schaute sie ernst an. »Ach Susanna, da ist noch mehr, was aus meinem Gedächtnis entschwunden ist. Irgendwo in mir spüre ich einen Widerstand, der mich hindert, weiter vorzudringen und mich meinen Erinnerungen zu stellen.«
»Du hast sie die ganze Zeit verdrängt. Wir müssen Erkundigungen einziehen, und damit meine ich keine Gerüchte. Du sagtest, das Gut deiner Großmutter sei nicht weit von hier entfernt – lebt dein Bruder zeitweise bei ihr?«
Leo nickte. »Er verbringt einen Großteil der Saison dort, weil es näher an London liegt und weil er mit seiner Behinderung bei meiner Großmutter besser zurechtkommt.«
»Dann wollen wir sie einladen. Ich möchte sie gerne alle kennenlernen.«
»Ich kann Ihnen unsere Heirat nicht per Brief mitteilen«, sagte er.
»Nein?«, fragte sie mit Bedauern in der Stimme.
Er grinste. »Ich will sein Gesicht sehen, wenn ich es sage.«
Leo begann nachzudenken, wer in der Gegend von dem Unglück aus seiner Kinderzeit wissen könnte, und eine Frau fiel ihm ein, die stets zu kommen pflegte, wenn sich die Wade-Kinder auf dem Gut aufhielten. Nachforschungen seines Verwalters ermittelten ihren Aufenthalt, und Leo und Susanna zögerten nicht, sofort zu ihr zu reiten.
Miss Deering war inzwischen eine betagte Dame mit dünnem weißem Haar und papierdünner, runzeliger Haut, die nach Puder roch. Sie lebte in einem kleinen, von Efeu überwucherten Cottage nahe des Dorfangers, wo sie gerne am Fenster saß und beobachtete, was draußen vor sich ging. Ein Dienstmädchen führte sie hinein und nannte ihre Namen. Als Miss Deering versuchte aufzustehen, ging Leo schnell zu ihr
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