Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
gewesen sein.«
Er nickte. Jetzt kannte er den Grund für seine Albträume, aber noch immer waren da so viele Gedächtnislücken. Und die wenigen Erinnerungen schienen wie in einen dichten Nebel gehüllt.
»Lassen Sie uns über schönere Dinge reden, Mr Wade«, sagte Miss Deering. »Erzählen Sie mir von Ihrer Hochzeit.«
Er sah Susanna an, zog eine Augenbraue hoch und überließ es ihr zu antworten, während er sich weiter darum bemühte, dem Gesicht seines toten Lehrers Konturen zu geben. Und herauszufinden, warum das so wichtig für ihn war.
Susanna ritt schweigend an Leos Seite. Sie erklommen einen Hügel, von dem aus man einen wunderschönen Blick ins Tal und auf Woodhill Manor hatte. Hecken unterteilten die Felder und Wiesen, und die Sonne schien so hell, als wollte sie alles mit ihren Strahlen segnen.
Sie sah ihren Ehemann an, der die Landschaft mit erheblich weniger Begeisterung betrachtete. Vielleicht nicht weiter verwunderlich, denn immerhin hatte er hier schreckliche Stunden verbracht, alleine in einer Höhle mit einem toten Mann. Er musste schreckliche Angst gehabt und beständig um Hilfe gerufen haben. Hungrig, durstig, verängstigt … Ein Schauer lief ihr über den Rücken.
»Was ist los?«, fragte Leo.
Sie begegnete seinem fragenden Blick. »Ich denke darüber nach, wie dieser Unfall wohl auf dich gewirkt hat.«
»Meinst du nicht, es wäre besser, es so wie ich zu machen und das Ganze zu verdrängen«, sagte er mit einem schiefen Lächeln. »Ich kann mich nicht einmal mehr an sein Gesicht erinnern, und dabei ist der Mann offenbar vor meinen Augen gestorben.«
»Wir könnten versuchen, deiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. Da sind noch Sachen von dir im Schulzimmer. Vielleicht hilft es, wenn du dir den Ort ansiehst, wo du viel Zeit mit Mr Boorde verbracht hast.«
»Warte«, sagte er, ehe sie ihr Pferd wieder antraben ließ. »Du brauchst mir bei dieser Sache nicht zu helfen. Bestimmt wolltest du keinen Mann mit … mentalen Problemen.«
»Mentale Probleme?«, wiederholte sie sanft. Ihr Lächeln schnitt Leo ins Herz, und er wünschte sich, ihr ein besserer Ehemann zu sein. Keiner, der trank und spielte und billigen Vergnügen hinterherlief. Gerade als er angefangen hatte zu glauben, sein Leben werde künftig in sichereren Bahnen verlaufen, kam diese Geschichte heraus. Trotzdem war sie die Geduld in Person – nie zuvor hätte er gedacht, welch unschätzbare Tugend das war. Zu seinem Katalog der Charaktereigenschaften einer perfekten Ehefrau zählte Geduld ursprünglich jedenfalls nicht.
Sie ließ ihr Pferd seitlich gehen, bis sich ihre Knie berührten; dann streckte sie die Hand aus, um seinen Arm zu berühren. »Ich habe nie Vollkommenheit erwartet, Leo.«
Er legte seine Hand auf ihre und erwiderte sanft: »Ich auch nicht.«
Sie sah ihn forschend an, wandte jedoch den Blick schnell ab. Eindeutig ging sie mit sich selbst härter ins Gericht als mit ihm.
»Dann steht jetzt das Kinderzimmer auf dem Plan?«, meinte er und versuchte entschlossen zu klingen.
Sie nickte, trieb ihr Pferd an und rief nach hinten: »Reiten wir um die Wette!«
Er sah ihr hinterher, wie sie davongaloppierte, und genoss den Anblick. Ein guter Sitz – eine weitere Eigenschaft, die die perfekte Frau haben sollte.
Auf dem Gut angekommen nahmen sie schnell eine kleine Mahlzeit ein, bestehend aus kaltem Schinken und Brot, bevor sie ins Kinderzimmer gingen. Beim Anblick des Raumes verdüsterte sich Leos Stimmung sogleich. Er erinnerte sich noch gut an die kleinen Tische und die großen Fenster, die einen weiten Blick in den Park erlaubten.
»Weckt irgendetwas deine Erinnerung?«, fragte Susanna, während sie Bücher auf einem kleinen Schreibtisch ausbreitete. »Hier steht überall dein Name.«
Er strich mit den Fingern über die Buchdeckel, als würde es helfen, wenn er die Märchen der Gebrüder Grimm oder Eine Einführung in die Insektenkunde berührte. »Natürlich erinnere ich mich an diese Bücher – schließlich liegen sie ja vor mir. Es ist wie ein schwacher Nachhall von Geistern, unbestimmt, gesichtslos. Ich weiß, dass ich hier … glücklich war.«
»Glücklich zu lernen?«, fragte sie spöttisch. »Das ist ja kaum zu glauben.«
Er lachte und löste die Spannung, die in der Luft lag, ein wenig.
Sie schaute in einen Schrank. »Schau mal, das hier habe ich gefunden«, sagte sie.
Er sah ein Brett, auf dem unterschiedlich geformte Gegenstände befestigt waren, und kam näher. »Was ist
Weitere Kostenlose Bücher