Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
beide, und sogar Lady Wade enthielt sich jedes weiteren Kommentars.
»Ich bin außerdem nicht hier, um mit dir über Susanna zu sprechen«, fuhr er fort. »Ich möchte über Mr Boorde reden.«
Ihr leicht fragender Gesichtsausdruck wirkte echt. »Mr Boorde«, wiederholte sie langsam. »Ich glaube nicht, dass ich …« Dann wurden ihre Augen ganz groß. »Du meinst deinen früheren Lehrer?«
Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich ihr gegenüber an den Schreibtisch. Sie sah ihn an, dann ließ sie die Feder fallen und wandte den Blick ab.
»Du hast damals nach dem Vorfall nie mehr über ihn reden wollen«, sagte sie leise. »Ich dachte, du hättest diese schreckliche Tragödie vergessen, aber jetzt ist wohl die Erinnerung zurückgekehrt.«
»Ich hatte alles vergessen, und inzwischen weiß ich auch, warum ich den Vorfall verdrängte. Als ich dann aber wieder in der Höhle stand, fielen mir seine letzten Worte ein. Bevor er starb, eröffnete er mir, dass er mein Vater sei.«
Er hatte damit gerechnet, dass sie es leugnen, wütend und beleidigt reagieren würde. Stattdessen sank sie in sich zusammen, und ihre Unterlippe fing an zu zittern. Zum ersten Mal sah Leo seine Mutter verletzlich.
»Dein Vater, richtiger mein Ehemann, schenkte mir nie auch nur einen Moment die Freude, die ich bei Mr Boorde fand«, erklärte sie mit leiser Stimme.
Leo ließ sich langsam nach hinten sinken. Er war verblüfft, dass es immer noch Dinge gab, die selbst ihn überraschten. Es klang fast so, als ob es sich von Anfang an um eine unglückliche Ehe gehandelt habe und nicht erst wegen des mütterlichen Fehltritts. Er atmete tief durch, ohne jedoch wirkliche Erleichterung zu verspüren. Immerhin war es so oder so eine traurige Angelegenheit.
Seine Mutter sah ihm jetzt in die Augen. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass du es weißt.«
»Ich auch nicht«, erwiderte er trocken. »Bis vor ein paar Tagen. Ein sterbender Mann und eine von Ratten besiedelte Höhle bringen einen Siebenjährigen offenbar dazu, alles vergessen zu wollen. Und offensichtlich warst du ebenso wie Vater der gleichen Meinung. Hat er es gewusst?«
»Ich glaube, er hegte einen Verdacht, dass ich vielleicht … jemanden gefunden haben könnte, aber er fragte nie. Schließlich war sein Verhalten ebenfalls nicht tadelsfrei«, sagte sie mit einem Anflug von Bitterkeit. »Er hat dich nie anders behandelt als Simon, deshalb nahm ich an – oder hoffte zumindest –, dass er es nicht wusste. Ihr seht beide mir ähnlich.«
»Ist Simon etwa auch …?«
»Nein! Ach du meine Güte, nein! Simon ist in jeder Hinsicht der legitime Viscount. Erst nach seiner Geburt, nachdem ich mit dem Erben meine Pflicht getan hatte, erlaubte ich mir einen … nun ja, Privatfreund.«
»Welcheine originelle Bezeichnung. Und wart ihr zu dem Zeitpunkt, als Mr Boorde starb, noch immer Freunde ?«
»Ja.« Eine erste Träne rollte über ihre Wange, und sie wischte sie mit einer fahrigen Bewegung weg. »Ich war am Boden zerstört und vermisste ihn sehr. So sehr, dass ich mir nicht einmal nach Lord Wades Tod einen Liebhaber zugelegt habe wie viele meiner Freundinnen.«
Widerwillig empfand er plötzlich eine gewisse Bewunderung für sie. Zumindest spielten wohl echte Gefühle für seinen leiblichen Vater mit.
»Was wirst du jetzt tun?«, fragte Lady Wade, während ihr Blick forschend über sein Gesicht glitt.
»Nichts. Simon und Georgie wissen es nicht, und ich will, dass es so bleibt. Sie würden sich nur unnötig Gedanken machen und dir die Geschichte übel nehmen.«
Ihre Lippen begannen erneut zu zittern, und sie presste sie aufeinander. »Danke. Möchtest du, dass ich dir von ihm erzähle?«
»Irgendwann vielleicht einmal. Ich habe eigene Erinnerungen an ihn.«
»Er liebte dich. Dein Lehrer zu sein erfüllte ihn mit großer Freude, und er nahm seine Aufgabe sehr ernst. Ich war immer sehr traurig, dass du dich nach seinem Tod mit nichts mehr beschäftigen wolltest, was dir und ihm früher so wichtig war. Jetzt kenne ich den Grund dafür.«
Er musterte sie einen Augenblick lang und beschloss, den seltenen, ruhigen Moment zu nutzen. »Warum wart ihr beide, Vater und du, so unglücklich miteinander?«
»Unsere Familien bestanden auf dieser Verbindung, und wir gehorchten. Aber wir passten nicht zueinander, und leider unternahmen wir auch keine Anstrengungen, etwas an der Situation zu verbessern. Er verbrachte die Abende lieber mit seinen Kumpanen als mit mir.« Sie senkte den Kopf, und ihr
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