Ein Sommer mit Danica
umzusehen. Die großen Wohnbaugesellschaften waren immer dankbar, wenn sich ein Arzt mitten in die Betonlandschaft setzte und den Geruch des Gettos wegdesinfizierte. Ein paar Wirtschaften, ein Laden irgendeiner Großeinkaufskette, am besten ein Supermarkt, eine Apotheke mit Drogerieabteilung und Fotolabor und ein Arzt … das Gesicht einer neuen Stadt ist aufpoliert.
Kurz vor Dienstschluß rief Dr. Corell das Gesundheitsamt an. Nach einigen Kreuz- und Querverbindungen meldete sich ein Dr. Julius Blattmann und sagte mit deutlich hörbarer Vorsicht:
»Was kann ich für Sie tun, Herr Kollege?«
Corell kannte Dr. Blattmann. Er war für die Planung der medizinischen Versorgung der Neusiedlungen verantwortlich und arbeitete Hand in Hand mit der Landesärztekammer. Dr. Blattmann war ein geachteter Bürger, Mitglied eines Gesangvereins, saß im Elferrat einer Karnevalsgesellschaft, war Schützenbruder, galt als begeisterter Jäger und förderte den ›Reiterverein 1955 e.V.‹. Seine Frau Lucile ritt sonntags in der Reithalle Quadrillen und war bekannt durch einen weinseligen Ausspruch: »Ich habe meinen Julius noch nie betrogen!« Das war in der exklusiven Gesellschaft des ›Reitervereins 1955 e.V.‹ eine so lupenreine Einstellung, daß man von da an Frau Lucile mißtraute und sie zu bestimmten Veranstaltungen nicht mehr einlud.
Über die ärztlichen Qualitäten von Dr. Blattmann wußte man allerdings wenig. Seit dreißig Jahren saß er in der Behörde und hatte sich einmal um das Wohl der Stadt verdient gemacht, als er die Kartei für die Zahnpflege in den Schulen nach modernen Gesichtspunkten umänderte und alle bisherigen Krankenblätter neu schreiben ließ.
»Ich werde umziehen –«, sagte Dr. Corell. Er wußte, daß auch Blattmann ihn sehr genau kannte. Als Corell noch Mitglied des Reitervereins gewesen war, hatte er Lucile Blattmann ein paarmal auf Ausritten begleitet, in allen Ehren, aber Blattman hatte immer aus Eifersucht rote Ohren bekommen und machte kein Hehl daraus, daß er Corell mißtraute. Hinzu kam, daß Corell damals ein eleganter Bursche gewesen war, während Blattmann – er konnte ja nichts dafür – auch im Maßanzug immer wie zur Ansicht ausgeliehen wirkte, ein farbloser Mensch, den auch rote Streifen im Gesicht nicht interessanter gemacht hätten.
»Ich dachte, Sie wollten die Praxis ganz aufgeben?« antwortete Blattmann jetzt.
»Man kann Beschlüsse ändern oder anders interpretieren … die Politiker sind da eine gute Schule. Ich habe die Absicht, an die Peripherie der Stadt zu ziehen, es wird ja genug gebaut.«
»Halten Sie das für klug?« fragte Dr. Blattmann gedehnt. Man hörte seiner Stimme an, wie er nachdachte. »Soll das bedeuten, daß Sie eine Allgemeinpraxis in den Neugebieten eröffnen wollen?«
Dr. Corell grinste. Das war typisch Blattmann. Hintenherum, mit geschraubten Worten, versteckt hinter höflicher Gleichgültigkeit die schönsten Gemeinheiten sagen.
»Nicht eröffnen, lieber Kollege.« Corell gab seiner Stimme einen geradezu aufreizenden fröhlichen Klang. Es fiel ihm in dieser Situation nicht schwer. »Nur verlegen. Das ist ein Unterschied. Ich habe meine Zulassung seit vierundzwanzig Jahren. Von allen Kassen.«
»Es ist mir neu –«, sagte Dr. Blattmann anzüglich, »daß in irgendeiner der Satellitenstädte ein Eros-Center geplant ist. Meines Erachtens besteht dafür auch kein dringendes Bedürfnis …«
Dr. Corell lehnte sich im Sessel zurück. Er sah ein, daß er einen Fehler gemacht hatte. Dieses Gespräch hätte man nicht am Telefon führen dürfen, sondern nur Auge in Auge. Dann hätte sich jetzt die einmalige Möglichkeit ergeben, Dr. Baumann eine schallende Ohrfeige zu verabreichen. Das ist zwar kein akademisches Benehmen und kaum die Art, wie sich Ärzte unterhalten, aber in diesem speziellen Falle – vor allem ohne Zeugen – wäre Corell bereit gewesen, einen kurzen Einblick in den Stil seiner vergangenen Jahre zu geben.
»Ich bin zugelassen für das ganze Stadtgebiet Frankfurt, Herr Kollege, und im übrigen haben wir Niederlassungsfreiheit«, sagte Corell ruhig. »Und wenn ich Sie anrufe, so nur deshalb, um als höflicher Mensch Ihnen zu helfen und Ihre Planungen zu fördern. Mir ist klar, daß sich die städtische Gesundheitsverwaltung Gedanken darüber macht, wie man die Randgebiete der Stadt medizinisch versorgen kann. Ich nehme Ihnen eine Sorge ab … ich gehe freiwillig in die Betonsilos.«
»Ob das für uns eine Beruhigung ist …«,
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