Ein Sommer mit Danica
in Frankfurt schlichen die Autos durch die Straßen und ihre Scheinwerfer durchdrangen kaum den Nebel, die Nässe tropfte von den Bäumen, und der Asphalt war glitschig – erlebten die Passagiere des Fluges Ljubljana-Frankfurt in 4.500 Meter Höhe eine Gratisvorstellung von balkanischem Temperament.
Die Chefstewardeß Inge Manger hatte gerade dreisprachig durchgegeben, daß die Maschine wegen Nebels nicht nach Frankfurt fliegen könne, sondern nach München umgeleitet würde, als Petar Robic aus seinem Sitz schnellte, als habe ihn jemand durch die Polster ins Gesäß gestochen. »Ich protestiere!« brüllte er. Die Köpfe der anderen Passagiere zuckten herum. Einige standen auf und traten auf den Gang, aus der Bordküche stürzten die beiden Stewardessen, im Cockpit bei den Piloten leuchtete eine Warnlampe auf. Seit es Mode geworden war, Flugzeuge zu entführen und Gratisflüge in orientalische Länder zu veranstalten, hatte man diese Warnung eingebaut. Sie konnte zwar nichts verhindern, aber sie milderte den Überraschungseffekt. Der Co-Pilot griff denn auch sofort zum Sprechfunkgerät und meldete nach München, daß an Bord irgend etwas los sei, er erwarte noch genaue Angaben. Unbeirrt flog die Maschine weiter, wich der Wetterfront aus und ging noch einmal die Meldung auf, daß der Frankfurter Flughafen wegen Nebel gesperrt sei.
»Nach Frankfurt!« brüllte Robic mit der bekannten Lautstärke. In dem schlanken Flugzeugleib wirkte sie noch donnernder, zumal ihn vornehme Stille und Gelassenheit umgab. »Was soll ich in München? Was ist das für eine Technik, he? Zum Mond können sie fliegen, aber ein bißchen Nebelchen, und aus ist's mit der Wissenschaft! Sabotage ist das, sage ich. Sabotage! Ich muß heute nacht in Frankfurt sein! Hören Sie, meine Herrschaften! Heute nacht! Es geht um Danica, um mein Töchterchen! Sie ruft nach mir … soll ihr Vater aus München telefonieren: Kann nicht da sein, Nebel ist stärker als Flugzeug? Ha! Welche Blamage! Bei Nebel haben wir am besten gekämpft! Fragen Sie Tito! Er wird Sie auslachen. Vor Nebelchen kapitulieren … was sind das für Zeiten? Ich verlange, daß man mich nach Frankfurt bringt!«
Einige Passagiere lachten. Die Chef Stewardeß verschwand im Cockpit, um den Piloten die Lage zu erklären. Keine Gefahr, kein Überfall, – nur ein Aufgeregter protestierte gegen die Umleitung.
»Sie werden auch nach Frankfurt kommen«, sagte unterdessen die andere Stewardeß. »Bitte, setzen Sie sich hin. Beruhigen Sie sich, mein Herr.«
»Ich will mich nicht beruhigen!« schrie Robic. Daß einige über ihn lachten, daß man seine Vatersorge so mißachtete, stieg ihm zu Kopfe wie eine Doppelflasche Slibowitz. Was sind das bloß für Menschen, dachte er. Wo haben sie ihre Seele sitzen? Aber man kann es ihnen nicht übelnehmen, sie kennen Danica nicht, mein Herzchen, mein Augenlicht. Sie sitzen da fett, vornehm und blasiert, ruhen sich aus auf ihren dicken Brieftaschen und kennen die Nöte eines armen Vaters nicht mehr. Vielleicht ist auch ihre Seele schon ein Automat geworden.
»Es kann sich nur um einen kurzen Zwischenaufenthalt handeln, dann fliegen wir weiter«, sagte die Stewardeß beruhigend. »Vielleicht ein, zwei Stunden …«
»Wer kann das garantieren?« rief Robic und sah sich um. Die anderen Fluggäste saßen wieder und blickten ihn amüsiert an. Die Langeweile des Fluges war etwas aufgelockert, fast schien man Petar dankbar für diese Einlage zu sein. »Können Sie das garantieren?« bellte er die Stewardeß an.
»Natürlich nicht, mein Herr.«
»Natürlich nicht! Natürlich nicht! Was ist denn noch natürlich? Wo ist der Kapitän? Ich will sofort den Kapitän sprechen! Sie heißen doch Kapitäne, ha? Ich will wissen, warum man ein Ding für viele Millionen Dinare baut, wenn ein Nebelchen es aus der Richtung beißt wie ein Schäferhund einen Hammel.«
Er hieb mit den Fäusten auf die Lehne des Sessels vor sich, in dem eine ältere Dame saß, die sofort zusammenzuckte und vornehm: »So eine Unverschämtheit!« sagte.
»Sie sagen es, Mütterchen!« brüllte Robic. Die ältere Dame zuckte noch heftiger zusammen und verfärbte sich. »Die ganze Welt besteht nur noch aus Unverschämtheiten! Kennen Sie Sascha? Nein? Gott hat Sie lieb, daß Sie ihn nicht kennen. Aber ich kenne ihn, und ich werde ihm in Frankfurt den Hals umdrehen. Aber man läßt mich nicht … man fliegt nach München. Was soll ich in München? Helfen Sie mir, meine Damen und Herren, nach
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