Ein Sommer und ein Tag
Holly-Hobbie-Tagesdecke, die mir viel zu kindisch vorkommt für die Frau, zu der ich in diesem Zimmer herangewachsen bin. Dann lausche ich auf die Geräusche im Haus und hoffe, dass sie irgendetwas zu mir zurücktragen. Ein Stockwerk tiefer höre ich, wie meine Mutter in der Küche mit dem Mixer hantiert und weiß Gott was – ein Spinat-Smoothie? Einen Tofu-Shake? – zusammenpanscht. Durch das geöffnete Fenster in der Ferne dringt das Brummen eines Rasenmähers zu mir herein. Dann ein Platschen, als Peter in das Schwimmbecken springt. Ich schließe die Augen. Welche Geräusche haben mich abends beim Einschlafen begleitet? Weil nichts kommt, versuche ich, es mir vorzustellen. Meine Eltern – als mein Vater noch da war –, die im Wohnzimmer die Smiths oder Bob Dylan auflegen, und später der dumpfe Hip-Hop-Rhythmus aus dem Zimmer meiner Schwester gegenüber. Grillenzirpen auf der Wiese? Die Autos der Nachbarn, die in ihre Auffahrt abbiegen? Der Anruf eines Jungen, in den ich verknallt war?
All das kommt mir plausibel vor, aber nichts davon lässt sich irgendwie bestätigen. Auf die Ellbogen gestützt, komme ich wieder hoch und mache mich auf den Weg zum Pool.
Jamie lässt die Füße ins Wasser baumeln, und Peter fläzt auf einem angebundenen Floß. Sie haben in Rorys Zimmer einen alten tragbaren CD-Spieler gefunden, und das Radio sorgt für Unterhaltung. «Wir haben Achtziger-Wochenende!», kündigt der DJ an. «Was war euer Lieblingshit der Achtziger? Ruft uns an!»
Die Luft ist für einen Tag Ende August erstaunlich wenig stickig oder feucht – es ist einer dieser strahlend blauen Tage, von denen man wünscht, sie würden nie vergehn –, und sie erfüllt die Lunge und das ganze Wesen mit einer unvergleichlichen Leichtigkeit. Ich bleibe stehen und betrachte die beiden, meinen Bauernburschenjournalisten und meinen reumütigen Ehemann, bis Peter mich bemerkt und mir zuwinkt.
«Hey!» Jamie springt auf. «Komm doch für eine Sekunde mit, ehe du es dir bequem machst.»
Er führt mich in Richtung Gästehaus und hält mich dabei fürsorglich und beruhigend um die Taille gefasst.
«Ist das hier okay für dich? Hast du alles, was du brauchst? Ist es sauber?»
«Ja, wunderbar», antwortet er. «Ich bin froh, dass du mich eingeladen hast. Ich könnte mir keinen besseren Ort vorstellen, um anzufangen.»
Das Gästehaus war früher einmal das Atelier meines Vaters gewesen. Davon zeugen bis heute vereinzelte Farbspritzer, die meine Mutter nie entfernt hat, und das Deckengemälde aus bunten Wellen, das mein Vater – wie meine Mutter Jamie erklärte – während einer besonders heftigen Periode der Schlaflosigkeit geschaffen hat. An der rückwärtigen Wand steht ein großes Doppelbett, daneben eine Kommode und darauf ein Fernseher. Ein ausgeblichener Läufer, der fast mit dem in meiner Wohnung identisch ist, verhüllt einen Teil der Narben, die die Arbeit meines Vaters auf dem Boden hinterlassen hat. Alle paar Schritte stößt man auf einen großen Klecks aus Öl- oder Acrylfarbe. Im Gegensatz zum Wohnhaus hat es meine Mutter wohl nie über sich gebracht, auch hier alles umzukrempeln und neu zu gestalten.
Der Geruch im Gästehaus wirkt vertraut – eine Mischung aus Farbe, Farbverdünner, Kaffee und Zitrusreiniger. Ich fühle mich wie elektrisiert und frage mich, wie es hier nach all den Jahren immer noch so riechen kann? Aber nach was genau eigentlich? Was riecht hier so? Wer riecht hier so? Jamie öffnet ein Fenster, und ich höre Peter auf seinem Floß zu einem Police-Song aus dem Radio singen.
Einen Augenblick lang scheint sich der Fußboden zu drehen, und ich bin verwirrt. «Every smile you fake, every clam you stake, I’ll be watching you.»
«Alles okay?», fragt Jamie.
«Dieser Geruch hier … und die Musik … es ist …» Ich atme tief ein und versuche es mir vorzustellen. Ja, das ist es! «Das ist genau wie mein Vater.» Ich verstumme und warte darauf, dass noch mehr auftaucht.
«Hast du eine Erinnerung?»
Ich schüttle den Kopf. «Ich weiß nur, dass es mich an ihn erinnert.» Ich erzähle ihm nicht, dass es in meiner Halsschlagader pocht, als würde sie jeden Moment explodieren, und dass dieser Geruch gleichzeitig etwas Beglückendes und zutiefst Erschreckendes an sich hat. Ich nehme mir vor, mit Liv darüber zu sprechen. Das ist mein neuer Lieblingsspruch , hat Anderson gesagt. Sagt zumindest mein Therapeut.
Jamie tritt an den Schrank neben dem Bett. «Und was ist hiermit?» Die Tür öffnet
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