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Ein Sonntag auf dem Lande

Ein Sonntag auf dem Lande

Titel: Ein Sonntag auf dem Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bost
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er, »können wir vielleicht hier zu Abend essen und um einundzwanzig Uhr dreizehn zurückfahren.«
    Nun denn. Wir werden mit dem Zug nach Hause fahren. Mireille wird krank sein, die Kinder werden zu spät zu Bett gehen. Was zählte das angesichts des Kummers eines alten Mannes, der sich fürchtete, allein zu bleiben?
    Marie-Thérèse hatte verstanden; sie lächelte Monsieur Ladmiral freundlich an, der sich fragte, ob seine Schwiegertochter nicht aus Pflichtgefühl blieb. Die Kinder wollten am liebsten losheulen, alles verdorben, man würde nicht mit dem Auto zurückfahren. Zum Glück schlug Irène ihnen vor, sie auf die Spazierfahrt mit Großvater mitzunehmen. Sie stürzten Richtung Haus.
    Als sie die Diele betraten, klingelte das Telefon. Emile und Lucile warfen sich auf den Apparat, und nach einem kurzen Kampf, der mit einem heimtückischen Beinstellen beendet wurde, griff Lucien, der Jüngere, nach dem Hörer. Er brüllte in den Apparat, wiederholte Sätze mit einer angsterfüllten Stimme, die er für lässig hielt, um den Anschein zu erwecken, an das Telefonieren gewöhnt zu sein.
    »Ja, da sind Sie richtig. Ja, Monsieur, ich glaube, sie ist noch da. Ich sehe nach, bleiben Sie bitte dran. Mit wem spreche ich bitte?«
    Triumphierend wandte er sich Irène zu: »Das ist für dich, Tante Irène. Ein Herr, ich habe den Namen nicht verstanden.«
    Irène hatte bereits nach dem Hörer gegriffen und antwortete mit knappen, schnellen Sätzen. Glücklich sah sie nicht aus. Monsieur Ladmiral und die Jungen begriffen sofort, dass von einer Spazierfahrt keine Rede mehr sein würde. Und auf einmal ereiferte sich Irène:
    »Das ist absolut unmöglich!«, rief sie in den Apparat. »Unmöglich! Ich wiederhole nicht, was ich dir gesagt habe. Ich will, dass du nach Versailles gehst. Das ist mir völlig egal. Aber wenn es so ist, fahre ich da auch hin. Das wäre zu einfach. Hoffentlich siehst du das auch so? Gut, dann sind wir uns einig. Es ist … Moment … zwanzig vor sechs. Wart auf mich, ich sammle dich ein. Nein, sicher. Ich brauche nicht einmal eine Dreiviertelstunde, und in jedem Fall bestehe ich darauf, zusammen mit dir dort hinzugehen. Bleib also, wo du bist, ich komme. Auf Wiedersehen …«
    Sie hängte auf. Sie hatte nach ihrem Abschiedsgruß so offensichtlich das Wort »Liebling« zurückgehalten, dass Monsieur Ladmiral es noch sah, wie es an ihren roten, vollen Lippen hing. Auch Irène war etwas verlegen. Monsieur Ladmiral war schrecklich traurig.
    »Und nun?«, sagte er lächelnd. »Wenn ich richtig verstehe …«
    »Ich bin untröstlich«, sagte Irène. Sie lächelte, maskenhaft. Ihre Stimme zitterte leicht, klang brüchig. Vielleicht war sie traurig, und Monsieur Ladmiral konnte glauben, weil sie an ihn dachte.
    »Es lässt sich absolut nicht verhindern, dass ich sofort nach Paris zurückmuss. Es wäre zu umständlich, dir das zu erklären.«
    Sie war schon bereit loszufahren, sie war weg. Sie war nicht mehr wie vorhin schnell, selbstbeherrscht und autoritär, sie war nur noch schnell. Und aufgewühlt. Sie fuhr nicht weg, sie flüchtete, von einer unwiderstehlichen Macht, die nicht mehr ihre eigene war, nach Paris gezogen. Und Monsieur Ladmiral, der so große Lust hatte, sie zurückzuhalten, dass er deswegen geweint hätte, drängte sie beinahe hinaus – so sehr war sie darauf erpicht abzureisen, so unumgänglich war es, dass sie abreiste.
    Aber es war nicht notwendig, Irène hinauszudrängen. Sie ging ganz allein und sehr schnell. Eilig durch den Garten hasten, sich bei Gonzague und Marie-Thérèse entschuldigen, den drei Kindern Küsse, die wie Rempler waren, verabreichen, dem Hund einen Fußtritt geben, um ihn aufzuwecken, sich schnell von Mercédès verabschieden und gerade noch die Zeit finden, ihr hundert Francs zuzustecken und ihr zu sagen: »Kümmern Sie sich vor allem gut um Monsieur Ladmiral« – dann stieg Irène in den Wagen. Ihr Vater hatte sie bis dahin begleitet; die Rückbank war mit den Kartons vom Dachboden beladen. Pudel Médor saß vorne, hechelte und trippelte wie ein ans Reisen gewohnter Hund, der von der Unterkunft bereits genug hatte.
    »Wenigstens«, sagte Monsieur Ladmiral und betrachtete die Kartons mit einer Spur Bedauern, »bist du nicht umsonst gekommen.«
    Er wollte einen Scherz machen, fühlte sich zerrissen, hatte Mitleid mit seiner Tochter und konnte nichts für sie tun.
    »Du bist ein guter Vater«, sagte Irène.
    »Und du eine gute Tochter! Kommst du bald

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