Ein Sonntag auf dem Lande
beschließen, ihre Familie zu verlassen.
Monsieur Ladmiral hatte diese Trennung akzeptiert, um den Preis seines Mutes, der so groß war, dass er ihn nie ganz zu verbergen vermochte. Seine Tochter zu verlieren, das hieß wahrlich, zum zweiten Mal Witwer zu werden. Anfangs hatte er sich gesträubt, dann gezögert und es schließlich mit Bedauern, Vorbehalten und Anspielungen hingenommen. Irène hatte kurzen Prozess gemacht und war sehr rasch ausgezogen, sich jeder Diskussion verweigernd, sobald die Angelegenheit beschlossen war. Die Trennung war fast wie ein Bruch gewesen. Monsieur Ladmiral und seine Tochter, beide verärgert über den anderen, gingen auseinander, was die Sache anfangs erleichtert hatte und ebenso, bald danach, die Wiederaufnahme der Beziehungen. Monsieur Ladmiral konnte seine Tochter nicht entbehren. Da sie ihn verließ, durfte er sich, wenn er sie ein wenig behalten wollte, nicht beklagen. So weise war er, und er wurde dafür belohnt. Irène blieb für ihn die aufmerksamste aller Töchter. Glücklicherweise dachte Monsieur Ladmiral, als Irène ihn verließ, nie an die Undankbarkeit der Kinder, oder zumindest sprach er nicht davon. Etwas später dachte er daran, als seine Tochter anfing, ihn weniger häufig zu besuchen, und er dachte vor allem daran, als sich Gelegenheit fand, dieses Thema Gonzague gegenüber anzuschneiden, der, ganz ergeben, oft zu seinem Vater kam, sogar an Wochentagen, nach Büroschluss. Wenn Gonzague dann wieder ging, war Monsieur Ladmiral darüber nicht sehr traurig, aber dieser Abschied erinnerte ihn daran, dass Irène seit Langem nicht mehr gekommen war. So spürte man, wenn er sich von Gonzague verabschiedete, immer eine Spur Bedauern, dass es nicht Irène gewesen war, die ihn besuchte. Gonzague begriff das, und es gab Tage, an denen er, wenn er aufgewühlt die Treppe im Haus seines Vaters hinunterging, die Stufen verfehlte und wie ein abgewiesener Liebhaber wirkte. Aller Kummer ähnelt sich.
Jetzt lebte Irène allein. Die früheren Vorkommnisse hatte man vergessen. Irène lebte allein, und sie hatte einen Beruf. Monsieur Ladmiral hatte das akzeptiert wie alles andere. Zudem legte Gonzague – nicht aus Bösartigkeit, sondern aus dem Bemühen um Genauigkeit – Wert darauf, dass seine Schwester nicht einen Beruf hatte, sondern sechsunddreißig. Die Zahl war übertrieben und die ironische Absicht berechtigt. Irène hatte im Atelier eines Dekorateurs gearbeitet, Modezeichnungen gemacht, Negerstatuen verkauft, sie war die Sekretärin eines Sammlers gewesen, und wer wusste, was sonst noch. Taktvoll, aber ohne Heimlichtuerei ließ sie Anspielungen fallen, auf Restaurants, Feierlichkeiten und Wochenendreisen, was Gonzague ein wenig verbitterte, vor allem wenn sie sie vor seiner Frau machte. Und zudem hatte Irène bereits ihren zweiten Wagen.
»Bei mir«, sagte Gonzague in einem scherzhaften Ton, dessen Hintergedanken kaum spürbar waren, »sind die Kinder vor dem Auto gekommen.«
»Wenn ich Kinder hätte, wärst du noch viel wütender«, antwortete Irène, als ließe sie eine Peitsche knallen.
Sie berührte da ein heikles Thema. Hatte Irène einen Liebhaber? Monsieur Ladmiral hatte sich diese Frage nie offen gestellt; er war fest entschlossen, sie sich nie zu stellen. Er wusste ganz genau, dass alles auf die Schlussfolgerung hinauslief, dass Irène einen Liebhaber hatte: ihre Unabhängigkeit, ihre Schönheit, ihre Einstellungen und alles, was man von ihrem Umfeld erahnte. Aber für jeden Mann gibt es eine Anzahl gewisser schmerzhafter Wahrheiten, gegen die es nur einen einzigen, aber wirksamen Schutz gibt, die Verweigerung: »Ich will es nicht wissen.« Hätte Monsieur Ladmiral gewusst, dass seine Tochter einen Liebhaber hatte, wäre er höchst unglücklich gewesen, voller Scham, Traurigkeit und Furcht. Er zählte zu den Männern (aber alle Männer sind im Grunde so), die großen Wert auf die Jungfräulichkeit der Mädchen legen, die ihnen wichtig sind. Irène wusste das. Als sie ihre erste Liaison vor ihrem Vater verbarg, war sie so klug wie Monsieur Ladmiral, der es ablehnte, sie aufzudecken. Warum in eine Sache Licht bringen, die alle Welt einvernehmlich unter der Decke hält? Auch Gonzague hatte wohl etwas geahnt, und da er befürchtet hatte, dass sich sein Vater deswegen beunruhigte, hatte er von Zeit zu Zeit eine Anspielung riskiert, um das Terrain zu sondieren und seinen Vater notfalls zu beruhigen.
»Man sieht Irène gar nie mehr«, sagte er dann. »Ich weiß genau,
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