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Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Titel: Ein Spiel, das die Götter sich leisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Özdogan
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sie trug ein weites dunkelrotes Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln ging, und hatte schwarze Sandalen an den nackten Füßen. Ich wollte sie ansprechen, doch ich traute mich nicht. Um mir Mut zu machen, dachte ich an Oktay und mit welcher Leichtigkeit er immer Frauen angesprochen hatte. Gerade als ich mir einen Ruck geben wollte, trafen sich unsere Blicke, alles wurde weit und weich, für einen kurzen Moment verschwand der ganze Lärm. Ich wußte, wie es war, aus der Zeit herauszufallen, wir lächelten beide, es war ganz einfach, ich ging auf sie zu.
    – Hallo, ich heiße Mesut. Darf ich mich einen Moment neben dich setzen?
    Sie rückte ein Stück zur Seite, mir fiel auf, daß ihre Fußnägel lackiert waren, in demselben Rotton wie das Kleid.
    – Ich heiße Oriana, sagte sie, in ihrer Stimme war ein leises Knirschen, als seien da ein paar Sandkörner in dem sonst seidigen Klang.
    – Ich werde dein Leben verändern, hatte Oktay oft mit einer unglaublichen Selbstsicherheit gesagt. Manchen gefiel das.
    Ich sagte:
    – Möchtest du mal mit mir einen Kaffee trinken gehen? Oriana schüttelte leise lachend den Kopf, als könne sie es nicht glauben. Daß ich so einfallslos war? Ich sah mir ihre Eckzähne an. Ich hatte sie nie gefragt, aber manchmal hätte ich schon gerne gewußt, ob die Karten ihr gesagt hatten, daß sie mich treffen würde.
    Wir tauschten Telefonnummern aus, und schon stand ich auf.
    – Ich muß los, ich bin hier, um einen Freund abzuholen, den ich ein halbes Jahr nicht mehr gesehen habe. Ich will ihn nicht warten lassen.
    Sie schüttelte erneut den Kopf, ich ging ein paar Schritte rückwärts, und wir lächelten wieder, dann drehte ich mich um und fragte mich, ob wir miteinander schlafen würden. Sie sah schön aus, diese Zähne, die geschwungenen Augenbrauen, die kräftigen Schlüsselbeine, der matte Zimtton ihrer Haut, die dunklen Augen.
    Ich mußte mich noch vierundzwanzig Stunden gedulden, bis ich die Antwort wußte.
    Als wir ankamen, war es stockdunkel, man konnte bereits das Meer riechen. Vor dem Bahnhof schaute ich Oriana an, wir ließen gleichzeitig unsere Taschen fallen, dann drehten wir uns einmal im Kreis. Das hatte ich mir vor einigen Jahren angewöhnt, nachdem ich gemerkt hatte, wie oft ich in einer fremden Umgebung naheliegende Möglichkeiten übersah – Pensionen, Hotels, Parkplätze, Cafés. Doch in dieser Dunkelheit konnte man kaum etwas erkennen. Ich stand unschlüssig da.
    – Du hast vergessen, nach oben zu schauen, sagte Oriana.
    Da war ein beeindruckender Sternenhimmel, ich stand mit in den Nacken gelegtem Kopf da, bis ich merkte, daß ich unwillkürlich leicht vor und zurück wippte.
    – Dort können wir nicht bleiben, wir müssen uns ein Zimmer suchen.
    Oriana hielt sich die Hand vor die Augen, streckte die andere Hand aus und drehte sich ein paarmal im Kreis. Als sie stehenblieb, sagte sie:
    – Da lang.
    Ihr Zeigefinger deutete auf den kleinen Bahnhof, aus dem wir gerade gekommen waren.
    Wir entschieden uns für die entgegengesetzte Richtung. Zwei Minuten später bemerkte ich etwas auf der Straße, das wie ein Geldschein aussah. Vor uns gingen zwei Frauen, ich hielt die Luft an, als könne ich damit bewirken, daß sie den Schein nicht bemerkten. Sie liefen daran vorbei. Es war tatsäch lich eine Banknote, ich hob sie auf, die größte, die es hier gab. Ich lachte.
    – Oriana, hier liegt das Geld auf der Straße, das Glück lacht uns ins Gesicht. Die Stadt ist geschmückt mit allerlei Edelsteinen, Jaspis, Saphir, Smaragd, Chalzedon, sie bedarf keines Mondes und keiner Sonne, die ihr scheinen.
    – Du bist ein Glückskind, weißt du das?
    Ich nickte. Ja, es hatte zwar Zeiten gegeben, in denen ich nicht daran geglaubt hatte, und seit dem Unfall und Oktays Verschwinden kamen mir auch immer öfter Zweifel, aber es konnte schon sein, es konnte sein, daß ich ein Glückskind war.
    Ein Stück weiter sahen wir die ersten Schilder an den Häusern, die freie Zimmer anboten. Das erste war eine winzige Dachkammer, die sich den Tag über aufgeheizt hatte. Das zweite lag im zweiten Stock und hatte einen kleinen Balkon, der auf einen Garten sah. Mochte es eben etwas mehr kosten, ein Balkon war ein schöner Luxus. Man durfte mir kein Geld geben, ich stand darauf, das Zeug zu verschleudern.
    Mir fiel dieses Bild ein, das ich mal in einem Magazin gesehen hatte, eine Frau, die sich mit den Ellenbogen auf die Brüstung eines Balkons stützt, im Hintergrund ein schönes Bergpanorama. Die Frau

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