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Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Titel: Ein Spiel, das die Götter sich leisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Özdogan
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gehalten.
    – Menschen, die zu gut geraten waren, murmelte ich.
    – Ich glaube nicht, daß es darum geht, sagte Oriana. Oder darum, daß die Götter Fehler gemacht haben. Diese Mythen sind schön, weil sie etwas zusammenführen. Die Menschen staunen, denn sie verstehen so vieles nicht, und dann erzählen sie sich Geschichten, die jeden von ihnen mit den Göttern verbindet. Geschichten, die ihnen sagen, daß es in Ordnung ist, nicht zu verstehen. Die Mythen sind nicht zur Unterhaltung gedacht, sie sollen dich nicht ablenken, sondern anbinden. Auch an die Menschen, die die gleichen Geschichten kennen.
    Wir setzten uns auf und schauten auf das Wasser, ich war schon vier Jahre nicht mehr am Meer gewesen. Es war still, bis auf das leise Plätschern, der Mond war eine schmale Sichel mit einem Stich ins Kürbisfarbene. Einige Minuten sagten wir nichts.
    Ich fragte mich, ob Oriana zu den Menschen gehörte, die sich nach einem verbindlichen Glauben sehnen und irgendwann über Tao stolpern, Sufismus oder eben Mythen. Menschen, die versuchen aus diesen Quellen eine Kraft zu schöpfen, die sie in sich selbst nicht spüren. Oder Menschen, die der Vorstellung anhängen, daß man in alten Zeiten eine engere Bindung an die Natur hatte und damit glücklicher war, besser und tiefer lebte. Um mitzukriegen, daß dem nicht so war, brauchte man bloß das Buch Kohelet zu lesen. Nein, entschied ich, Oriana war nicht so. Ihr Glaube entsprang nicht einer Sehnsucht.
    Aber konnte es sein, daß sie versuchte, mich zu beeindrucken, weil sie merkte, wie sehr ich diese Geschichten mochte, Geschichten, die einen dazugehören ließen? Und was dachte sie jetzt, genoß sie die Stille und das Meer, oder stellte sie sich auch Fragen?
    – Laß uns schwimmen gehen, schlug ich vor.
    Oriana lächelte, als hätte sie nur darauf gewartet. Wir zogen uns aus, sie bestand darauf, unsere Kleider unter einem großen Stein zu verstecken, und dann gingen wir ins Wasser. Es war etwas zu kühl, aber es tat gut, nackt im offenen Meer zu schwimmen. Ich dachte nicht an Oktay, nicht an Oriana, nicht an Sex, nicht an meine Eltern, nicht an den Klang der Worte, nicht an die Freude, die Sorgen, Eitelkeit, Ärger, Glück. Ich verlor mich in der Dunkelheit.

4
    Wir lagen am Strand, Oriana hatte einen hellblauen baumwollenen Badeanzug an, ich eine kurze beige Hose mit Innenslip. In Badehosen hatte ich mich schon als Kind nicht wohl gefühlt. Außerdem fand ich, daß Badehosen nicht besonders gut aussahen. Gelegentlich glaubte ich, die Bekleidungsfrage sei für Frauen einfacher zu lösen, auch wenn sie immer klagten, daß sie nichts zum Anziehen fanden. Sie konnten, wenn es heiß war, in einem Rock oder Kleid anziehend wirken oder auch in kurzen Hosen und Sandalen. Das war für einen Mann unmöglich. Es gibt für Männer nahezu keine Möglichkeiten, in kurzen Hosen und Sandalen gut auszusehen. Borell hatte schon gewußt, warum er im Hochsommer im Anzug rumlief.
    Ich sah mir die Frauen am Strand an, die jungen, die alten, die, bei denen man sich fragte, wieviel Quadratmillimeter Stoff das eigentlich waren, mit denen sie ihren Körper nicht verhüllten. Das war bei meinem letzten Strandurlaub auch so gewesen, am ersten Tag konnte man die Augen nicht voll genug kriegen, aber man gewöhnte sich sehr bald daran und nahm später die Rundungen kaum noch wahr.
    – Als Mann hat man es einfacher, sagte Oriana.
    – Wieso?
    – Die eine Frau hat einen schönen Busen, die andere einen schönen Hintern, die nächste eine samtige Haut, die man berühren möchte, die da hat einen süßen Bauch, die da drüben einen anmutig geschwungenen Nacken. Aber schau dir mal die Männer an. Die meisten haben einen Schmerbauch oder Nierenfett, und die anderen sind fast alles Heringe. Ich könnte kaum mit einem Mann Zusammensein, der weniger wiegt als ich.
    – Was ist mit dem da drüben? fragte ich und deutete mit dem Kopf in seine Richtung.
    Er war mir aufgefallen, weil er so gut aussah. Mittelgroß, blond, sportliche Figur. Man konnte die Muskeln unter der Haut erkennen, die Schultern waren kräftig und rund und endeten am Oberarm in einem ausgeprägten Dreieck, die Brustwarzen waren groß und dunkel und unbehaart.
    – Ja, sagte Oriana, es gibt viele Siebzehnjährige, die so aussehen, aber das sind Jungen. Warten wir ab, wie er in zehn Jahren aussieht.
    – Eine Frau sieht also fast immer schön aus, irgendwie, irgendwo, aber Männer müssen Sport treiben oder körperlich arbeiten, ja?
    –

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