Ein Spiel, das die Götter sich leisten
ihr nichts passiert, es wird gut ausgehen, es wird gut ausgehen, auch wenn dir deine Gedanken gerade einen Strick drehen und du Angst hast.
Ich spürte, wie sich zwei harte Gegenstände auf der Höhe meiner Nieren in meinen Rücken bohrten, und zuckte erschrocken zusammen. Ich drehte mich um, Oriana lachte. Es dauerte ein wenig, bis ich begriff, daß sie mich mit diesen Holzstöcken gepiekt hatte, von denen sie in jeder Hand einen hielt und auf denen eine Art Stockbrot mit Puderzucker steckte. Ich hatte schon einige Leute am Strand damit gesehen.
– Was bist du denn so schreckhaft? Du hast ja fast keine Farbe mehr im Gesicht. Was ist los?
– Ich habe mir Sorgen gemacht, du warst so lange weg. Ihr Lächeln erstarb, sie zog die Augenbrauen zusammen und musterte mich kritisch.
– Da sind riesige Schlangen. Es hat leider etwas gedauert, sagte sie leicht genervt.
– Schlangen halten die Welt zusammen.
Ich küßte sie auf die Wange, ich hatte sie nicht kontrollieren wollen, auch wenn sie das jetzt vielleicht glaubte. Gemeinsam gingen wir zurück.
Das Stockbrot schmeckte süß, aber verklebte einem nicht den Mund und roch angenehm nach offenem Feuer. Die Stöcke steckten wir in den Sand, dann legten wir uns wieder hin, und mir fiel ein, was Frauen sich wahrscheinlich eher merkten als ihren ersten Orgasmus. Eigentlich dasselbe wie Männer, den Punkt, ab dem man fähig scheint, ein Kind zu kriegen.
– Du weißt noch genau, wie du das erste Mal deine Tage bekommen hast, nicht wahr?
– Ja. Im allerersten Moment, als ich es in meiner Hose sah, war ich geschockt. Ich wußte zwar, was das war, ich hatte es auch erwartet, aber auf einmal war es soweit. Weißt du, wenn du jemanden eingeladen hast und du auf ihn wartest und es klingelt dann an der Tür, zuckst du erschrocken zusammen, eben weil du so darauf gewartet hast.
Aber gleich darauf war ich stolz, ich bin zu Viola gerannt und habe mir Binden von ihr geliehen. Ich glaube, sie war ein bißchen neidisch, weil sie ihre Regel erst vor ein paar Monaten bekommen hatte. Sie hatte dem richtig entgegengefiebert, und nun kam ich mit meinen dreizehn Jahren und strahlte sie an. Aber sie war echt toll, sie hat mir noch am gleichen Tag einen Kuchen gebacken, und den haben nur wir zwei gegessen, im Wald. Wir lagen da und haben darüber geredet, wie viele Kinder wir mal haben wollen und wie wir uns unseren Mann vorstellen.
Oriana hatte mir vor ein paar Tagen schon erzählt, daß Viola mit einem Synchronsprecher verheiratet war und drei Kinder hatte.
– Und nun bist du ein wenig neidisch auf sie? fragte ich.
– Nein, sagte Oriana, ich war ja schon verlobt.
– Habt ihr auch an Kinder gedacht, Mario und du?
– Er hat immer gesagt, er fühle sich noch nicht reif genug.
Dann setzte sie noch mal an, um etwas zu sagen, doch noch ehe ein Ton rauskam, verstummte sie. Sie war immerhin 28, wenn sie Kinder wollte, blieb ihr nicht mehr so wahnsinnig viel Zeit. Auf mich machte sie nicht den Eindruck, als habe sie ein Problem damit.
Ich dachte an Violas Mann, den Synchronsprecher, und die Geschichte, wie seine frühere Geliebte 58mal in diesen Kinofilm gegangen war, nur um in einer Szene die Augen zu schließen und sich seiner Stimme zu überlassen: Ich liebe dich, baby, ich werde dich immer lieben, du bist die Frau meines Lebens. Sie wollte den Satz wieder und wieder aus seinem Mund hören und sich vorstellen, sie sei gemeint.
Oriana hatte sich auf den Bauch gelegt und die Augen geschlossen, sie sah entspannt aus, keine Wolken über ihrem Gesicht. Wie viele Kinder hatte sie sich wohl damals gewünscht? Und was für einen Mann? Bestimmt jemanden, der ihr das Gefühl von Sicherheit vermittelte, jemanden, der genau wußte, wo er im Leben lang wollte, und sich nicht immer überlegen mußte, woher das nächste Geld kam.
– Ich heiße Oriana, das war der erste Satz gewesen, den ich aus ihrem Mund gehört hatte. Ihre Stimme hatte mir gefallen, sie paßte zu ihrem Namen, ein wenig dunkel, aber weich. Sie hatte etwas Kehliges, und ganz unten gab es ein leichtes Kratzen, es war wie dunkelblaue Seide mit ein paar Sandkörnern darauf. Wenn Oriana erregt war, veränderte ihre Stimme sich, sie wurde etwas heller, und irgendwann verschwand das Knarzige ganz, und bevor es ihr kam, hörte sie sich ein wenig nasal an. Dann öffnete mir ihre Stimme eine Tür zu einer ganzen Welt, dann wurde sie so umfassend, daß ich sie nicht mehr beschreiben konnte. Es war eine weite Landschaft mit Hügeln und
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