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Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Titel: Ein Spiel, das die Götter sich leisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Özdogan
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stimmte. Es ist schwer, eine so gut bezahlte Arbeit in der Türkei zu bekommen.
    – Aber einfach so in ein fremdes Land?
    – Er hatte keine Bedenken, er wußte ja, daß er klarkommt. Egal, wo er ist, er hat immer eine gute Zeit. Achtzehn Monate war er beim Militär, und als er hinterher davon erzählte, hörte es sich an wie ein Ferienlager. Was es unter Garantie nicht wahr. Er kam dahin, flachste noch mit den Ausbildern, die die Formalitäten erledigten, riß ein paar Witze, alle lachten, doch nach fünf Minuten geriet er an einen Oberst, der ihm, baaaaaam, gleich mal eine scheuerte, wegen Respektlosigkeit. Bei allen heiligen Propheten, hat er sich gedacht, wo bin ich denn hier gelandet? Aber er hat einen Weg gefunden. Später, als er selber Ausbilder war, hat er immer neue Marschierverse erfunden: Wir sehnen uns nach einer Frau, unsere Eier sind so blau, dicke Lippen soll sie haben und möglichst wenig Kleidung tragen. So hat er die Jungs und sich selbst bei Laune gehalten. Als das rauskam, haben sie ihm für acht Wochen den Ausgang gestrichen.
    Ich erzählte auch von Oktays Tagen in der Saftbar, wo alle Welt ganz baff war, selbst Touristen aus Basra fandens kaum raffbar, daß der Mann nie geschafft war, Witze riß wie Lenny Bruce und doch nie in Haft war.
    – Doch darum geht es eigentlich nicht, weißt du. Es geht um … Eines Tages, unsere Eltern waren gerade nicht da, versuchte ich Oktay zu überreden, Video zu gucken. Was wir nicht durften. Niemand außer seinem Vater durfte an den Recorder, das Ding war heilig. Ich wollte unbedingt diesen Film sehen, Soldier Blue, fast alle Jungs in der Straße kannten ihn und schwärmten davon, wie das Blut spritzte. Und am Ende, am Ende … Das verschwiegen sie immer und nickten sich wissend zu. Oktay wollte nicht Video gucken, er hatte keine Angst vor seinem Vater, aber er wollte lieber draußen spielen. Als er meinen Gesichtsausdruck sah, sagte er: Komm. Er holte den Schlüssel für den Schrank mit den Filmen, der in einer Vase in der Vitrine versteckt war, legte die Kassette ein, und wir machten es uns vor der Kiste bequem.
    Kurz vor Schluß gab es eine Störung, der Recorder stoppte von selbst, ich drückte immer wieder auf Play, hastig, schnell nacheinander, weil sich nichts tat. Es gab einige Geräusche, der Film lief noch ein paar Sekunden, stoppte wieder, ich hackte auf die Playtaste ein, ich wollte doch unbedingt das Ende sehen. Und dann blieb die Kassette endgültig stehen. Sie steckte in dem verdammten Recorder fest, er wollte sie ums Verrecken nicht wieder ausspucken, egal, was wir versuchten. Mir wurde heiß. Ich hatte Angst. Ich hatte große Angst vor meinem Onkel. Mein Vater würde mir nicht helfen, das wußte ich. Als Oktav meine Tränen sah, sagte er: Mach dir keine Sorgen, es wird nichts passieren.
    Trotzdem hatte ich Bauchkrämpfe vor lauter Angst. Oktav tröstete mich, er würde das schon regeln. Als unsere Eltern kamen, ist er direkt zu seinem Vater gelaufen, was sonst gar nicht seine Art war. Er tat immer unschuldig. Er erzählte, er habe den Schlüssel gefunden und mich überredet, den Film zu gucken, und nun sei die Kassette steckengeblieben.
    Mir stiegen wieder die Tränen in die Augen, als ich sah, wie sein Kopf von der Wucht der Ohrfeigen hin– und hergerissen wurde. Ich wars, rief ich, ich wars. Er kann nichts dafür. Aber mein Onkel sagte nur: Siehst du, Mesut ist ein guter Junge, er würde nie auf so eine Idee kommen, aber er ist bereit, sich für dich zu opfern, du ehrloser Zuhälter, dem ich ins Maul scheißen werde.
    Und es gab noch mehr Ohrfeigen, Oktays Lippe platzte auf, das Blut tropfte auf den Teppich, und dafür gab es gleich noch ein paar mit dem Handrücken. Am nächsten Tag waren seine Wangen geschwollen, aber er zwinkerte mir zu. Ist nicht so schlimm, sagte er, das sieht nur böse aus.
    Er kann damals nicht älter als zwölf gewesen sein. So war er immer zu mir. Auch später noch. Es gibt keinen mehr auf der Welt, dem ich so vertraue. Es gibt keinen mehr, der …
    Ich brach ab, stürzte meinen Wein runter.
    – Er ist für dich, was Martha, Viola und Elena und meine Mutter für mich sind.
    – Ja, wahrscheinlich.
    – Wir werden ihn finden, sagte sie.
    Ich hatte wieder Tränen in den Augen, und wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich sagen, es waren genau dieselben, wie die an dem Tag, als Oktay die Ohrfeigen bekam.
    – Und die Frauen? fragte Oriana in einem fröhlicheren Tonfall, was war mit ihm und den Frauen?
    – Ich

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