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Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Titel: Ein Spiel, das die Götter sich leisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Özdogan
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nehmen, ging er zu einem Wägelchen, auf dem Kristallkaraffen mit verschiedenfarbenen Flüssigkeiten standen, schenkte sich einen Drink ein und setzte sich dann zu uns.
    – Oktay ist nicht mehr hier, sagte er, er ist vor drei Tagen gefahren.
    – Wissen Sie, wohin? fragte ich.
    – Nein, sagte er, nein, ich weiß es nicht.
    – Wie lange war er bei Ihnen? fragte Oriana.
    – Fast vierzehn Tage.
    So nah dran, dachte ich, wir sind so nah dran gewesen, das durfte nicht sein. Gleichzeitig konnte ich verstehen, daß Oktay keine Lust gehabt hatte, bei diesem unfreundlichen Herrn zu arbeiten.
    – Was hat Oktay hier getan? wollte ich wissen.
    – Nicht viel, sagte er, das Unkraut hinten im Garten gejätet, den Rasen gemäht, das Beet umgegraben, den Kies geharkt. Ansonsten haben wir in der Sonne gesessen und Domino gespielt. Vor drei Tagen hat er sich seinen Lohn auszahlen lassen, hat seinen Rucksack genommen und ist gefahren. Er wollte wieder ans Meer.
    – Und er hatte keine Andeutungen gemacht, wohin ans Meer?
    Myrie schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck aus seinem Glas.
    – Du läufst ihm also hinterher, stellte er fest.
    Ich fand ihn immer unsympathischer. Wie hatte Oktay sich wohl mit ihm verstanden? Vielleicht hätte ich versuchen sollen, ihn zum Lachen zu bringen.
    Wir saßen still da, keiner sagte einen Ton, ich wünschte inständig, Oriana würde diesen Menschen zum Plaudern bringen, mir fiel nichts ein.
    – Sollen wir eine Runde Domino spielen, schlug Oriana vor, als das Schweigen unangenehm wurde und ich mich immer noch nicht entschließen konnte zu gehen, obwohl hier nichts zu erfahren war.
    – Ja, sagte Myrie gleichgültig, ja, spielen wir Domino. Wir gingen in den Garten, der hinter dem Haus lag und sehr viel gepflegter aussah als der Vorgarten. An einem blau gestrichenen Holztisch spielten wir ein paar Runden Domino. Ich knallte, nachdem ich meine Hemmungen überwunden hatte, die Steine genauso fest auf den Tisch wie Myrie, ich wollte um jeden Preis gewinnen.
    Ein Lächeln erschien auf Myries Gesicht, das erste, seit wir hier waren.
    – Möchtest du etwas trinken? fragte er.
    – Ja, sagte ich, ein Wasser wäre nicht schlecht.
    – Dann frag nach Wasser, und versuch nicht, den Tisch entzweizuschlagen.
    Er stand auf, Oriana und ich sahen uns an. Was ist das für ein Kauz, fragte ich, und sie zog die Augenbrauen hoch. Myrie kam mit einer Karaffe Eiswasser und zwei Gläsern zurück.
    – Mr. Myrie, mochten Sie Oktay gerne? fragte Oriana.
    – Ja, sagte er, aber er brauchte mehr Gesellschaft, als ich ihm bieten konnte.
    Oriana fing an zu erzählen, daß sie ihn noch nie gesehen hatte und was für Jobs er in letzter Zeit gehabt hatte, wie sehr ihr daran gelegen war, daß wir ihn fanden. Myrie saß wieder mit unbewegter Miene da. Oriana war eine gute Erzählerin, ich hörte ihr gerne zu, ich mochte den Klang ihrer Stimme und den Rhythmus ihrer Worte, aber ich bezweifelte, daß sie diesen Mann damit berühren konnte. Er machte zwar nicht den Eindruck, als wolle er uns schleunigst loswerden, aber er behandelte uns nicht im geringsten wie willkommene Gäste. Ein mürrischer Mann, der nicht weiß, was er von der Ablenkung halten soll, die ihm da ins Haus geweht ist.
    Oriana erwähnte auch Joshua und Eileen, wie wir sie kennengelernt hatten, wohin sie wollten, was für Menschen sie zu sein schienen. Ein schwatzhaftes Weib ist für einen stillen Mann wie ein sandiger Weg bergauf für einen alten Mann, fiel mir ein, doch Myrie lächelte zum zweiten Mal, als es um Indien ging.
    – Die Menschen gieren danach, das Welträtsel zu lösen und die Mystik zu entschleiern, sagte er. Sie sind hungrig nach Übernatürlichem und nach spiritueller Wahrheit. Sie wollen Inseln des Friedens jenseits unserer Meere. Es ist eine Mode, weiter nichts. Es gibt keine Erlösung für den einzelnen. Diese gierigen Barbaren wollen sich an Gotteserfahrungen laben. Ich hasse sie, alle miteinander. Wir sind alleine unterwegs, und dieses Leben ist nichts wert, es gibt keinen Trost. Diese Kretins bemühen sich verzweifelt, der Tretmühle auch noch einen Sinn zu geben. Hätte ich es mir aussuchen können, wäre ich nie an diesen verdammungswürdigen Ort gekommen, hätte nie gelebt und müßte nie sterben.
    Er stürzte den Rest aus seinem Glas runter, stand auf und ging rein. Oriana und ich sahen uns an und hoben dieses Mal gleichzeitig die Augenbrauen. Schweigend saßen wir da, und als Myrie nach zehn Minuten immer noch nicht zurück war,

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