Ein Stern fliegt vorbei
primitiven Mittel wie Bildwörterbücher nicht mehr nötig haben. Er forderte die Sprachwissenschaftler auf, statt dessen Material für die Einrichtung einer Übersetzungsmaschine vorzubereiten.
Schön und gut – aber auf der Grundlage welcher Sprache?
Das war gar nicht so einfach zu entscheiden. Die Umgangssprache der Kosmonauten war ein lexikalisch und grammatisch nirgendwo fixiertes Gemisch aus den slawischen, germanischen und romanischen Sprachen. Daß dabei die großen asiatischen und afrikanischen Sprachen zu kurz kamen – obwohl gebildete Leute die wichtigsten natürlich beherrschten –, war ein Überbleibsel aus jener Zeit, da Asien und Afrika die anderen Kontinente ökonomisch noch nicht eingeholt hatten und folglich fast alle technischen und wissenschaftlichen Bezeichnungen aus Europa und Amerika kamen. Die Dienstsprache irgendeines kosmischen Unternehmens war der allgemeinen Sitte nach die Sprache des jeweiligen Kommandanten oder, wenn er einer kleineren Nation entstammte, diejenige Hauptsprache, mit der seine Muttersprache am engsten verwandt war.
Hier jedoch waren andere Maßstäbe angebracht. Nicht etwa daß Prestigefragen dabei eine Rolle gespielt hätten, aber die vorauszusehenden Verständigungsschwierigkeiten durften weder durch Üppigkeit der grammatischen Formen noch durch Überlastungen der Orthographie mit Ausnahmen noch auch durch emotionale Mehrdeutigkeit erhöht werden, und so einigte man sich auf das Latein, die Wissenschaftssprache, angereichert durch latinisierte technische Vokabeln aus den verschiedensten Sprachen.
Unterdessen aber war es Lutz gelungen, über Funkbilder die ALIENA von den wichtigsten physikalischen Maßeinheiten zu unterrichten, die auf der Erde galten, und ungefähr auch über den gegenwärtigen technischen Entwicklungsstand, und auf diese Weise konnte man wenige Tage vor dem Eintreffen der Brüder Televisionsverbindung aufnehmen.
Zu dieser ersten gegenseitigen Vorstellung hatten sich die leitenden Mitarbeiter vor Kamera und Bildschirm versammelt, erregt, festlich gekleidet, erwartungsvoll schweigend.
Der Bildschirm leuchtete auf. Man sah in einen Raum mit unverständlicher Einrichtung, und man sah vier Personen, offensichtlich zwei Paare, in langen, fließenden Gewändern, jedes in einer anderen Farbe.
Einer trat vor, streckte den rechten Arm vor, die Handfläche nach oben gerichtet, und sagte etwas, das vokalreich und melodisch klang.
Alle schwiegen ergriffen. Nur Lutz konnte sich nicht der Weihe der Stunde hingeben, er hatte harte Gedankenarbeit zu leisten, damit eine Verständigung zustande kam. Er trat vor und sagte: „Wir grüßen euch!“ Wobei er die Geste des fremden Bruders, die ja offensichtlich ein Gruß gewesen war, wiederholte.
Der Fremde wies mit der langen, schlanken Hand auf sich und sagte: „Tama Uro!“
Lutz zeigte auf Nadja Iwanowna Shelesnowa und stellte sie vor, mit einer Zeichnung verschiedener Schiffe der Flotte ihre Funktion verdeutlichend. Tama Uro – wie man annehmen durfte, war das der Name ihres Gegenübers – schlug mit der Hand einen waagerechten Kreis und wies dann auf sich und seine Gefährten, so andeutend, daß es sich bei ihnen um die ganze Besatzung der ALIENA handelte.
Lutz zeigte daraufhin wieder das Bild mit den Raumschiffen, schrieb – in den schon vereinbarten Zeichen – die Zahl der Mitglieder der Raumflotte darauf, zeigte dann den Globus und zeichnete die Zahl der lebenden Menschen auf: 5 Milliarden.
Selbstverständlich sprachen beide Seiten dazu. Wenn sie auch das Gesagte nicht verstanden – noch nicht –, so machten doch die Töne der beiderseitigen Sprachen das Bild erst zur lebendigen Wirklichkeit.
Nun aber wurde der Bildschirm dunkel und zeigte einen Ausschnitt des Sternhimmels, wie er von hier aus zu sehen war, mit dem Sternbild Stier in der Mitte. Der Ausschnitt verengte sich immer mehr, die Sterne schienen näher zu rücken, und bald war nur noch der Sternhaufen der Plejaden zu sehen, das Siebengestirn, etwa 150 Parsec entfernt, mit einem Durchmesser von 5 Parsec, bestehend aus etwa 160 Sternen. Daher also kamen die fremden Brüder, daher kam die ALIENA. 150 Parsec! Welche technischen Mittel mußten ihnen zur Verfügung stehen, um diese Entfernung zu überbrücken!
Wieder erschien die Besatzung der ALIENA auf dem Schirm. Tama Uro nahm einen Stab in die Hand und stellte ihn neben sich. Der Stab überragte ihn ein wenig; Tama Uro deutete auf den Stab, sagte etwas und schrieb auf eine unerfindliche
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