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Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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die als Süchtige nicht so stark auf die Tablette reagiert hätte. Jeder! Sie fror plötzlich. Ihr war klar, sie konnte sich mit niemand darüber beraten, denn gerade der Ratgeber hätte ja derjenige sein können, welcher. Sie mußte den Fall ganz allein lösen, der Kranke durfte nichts ahnen, denn seine Handlungen würden unberechenbar werden, wenn er den Weg zu dem Gift versperrt sehen würde und nicht sofort unter Kontrolle genommen werden könnte. Es war auch keine Zeit mehr zu langwierigen Beobachtungen, die ihr sicher Aufschluß gegeben hätten über die Person; sie mußte ihn abfangen, hier, ihn unschädlich machen, und erst dann konnte sie Hilfe herbeirufen.
    Aber zuerst Kat! Sie sammelte sich und ging wieder ins Krankenzimmer. Einer ihrer Mitarbeiter sah sie etwas verwundert an, sagte aber nichts. Dann ging alles ohne Schwierigkeiten. Kat wurde wach und erschrak zuerst, als ihr der Sachverhalt mitgeteilt wurde, war aber tapfer und gab ihre Einwilligung, bat nur noch um ein Bildfunkgespräch mit Kapitän Schtscherbin und schlief nach der vorausgesehenen Zeitspanne wieder ein.
    Sabine beriet anschließend über Bildfunk mit den Ärzten auf der WEGA und der ATAIR die Pläne für die Behandlung, die am nächsten Tag beginnen sollte, und ging dann hinüber in die „Apotheke“, wie das Arzneimittellager genannt wurde. Von dort rief sie ihren Mann an, daß sie noch etwas tun müsse, sie sagte vorsichtshalber: im Op-Raum, der ein ganzes Stück weiter lag, vernahm die brummige Antwort und legte den Hörer auf.
    Ja, was mußte sie jetzt tun? Auf den Süchtigen warten und ihn überwältigen. Sie hatte keine Angst. Als Raumarzt hatte sie ihre Sonderausbildung gegen Raumkoller absolviert, und das körperliche Verhalten eines daran Erkrankten war dem eines Süchtigen, dem man seine Droge vorenthält, ziemlich ähnlich. Außerdem durfte sie auch bei einem Süchtigen auf die in Jahrtausenden angelegte und in den letzten Jahrhunderten vollständig ausgebildete Hemmung rechnen, die jeder Mensch hat, einen anderen Menschen tätlich anzugreifen, und die die Aktionen des Kranken wenigstens verzögern würde.
    Sie rechnete sich aus: In den nächsten drei bis vier Stunden mußte er – oder sie – kommen.
    Sie trat an einen Wandschrank, entnahm ihm ein Kollernetz, bereitete noch eine Beruhigungsspritze vor, setzte sich dann neben die Tür, löschte das Licht und wartete.
    Zum erstenmal seit Wochen war sie ganz ruhig. Was sie jetzt zu tun hatte, war zwar unangenehm, aber es war das absolut Notwendige, worüber kein Zweifel möglich war, wobei es kein Wenn und Aber gab wie bei so vielen Problemen der letzten Tage, bei der Behandlung dieser Krankheit zum Beispiel oder bei der Behandlung des eigenen Mannes, den sie liebte und der sich um so weniger aus dieser Liebe kräftigen ließ, je tiefer er sich in eine nervöse Unrast steigerte, die geboren war aus dem Gefühl, daß ihm ein Quentchen zu der Persönlichkeit fehlte, eine solche Situation als Kommandant zu meistern. Sie sah eher, als die andern es sehen konnten, daß seine gesteigerte Aktivität, seine Pedanterie, auch seine Grobheit, die ihm in Wirklichkeit so gar nicht lag, nur Versuche waren, dieses Fehlende zu ersetzen, und sie hatte geschwankt, was zu tun sei, um dem Tag vorzubeugen, an dem sich das – vielleicht zum Schaden der Expedition – klar erweisen würde.
    Aber diese Grübeleien lagen jetzt hinter ihr oder auch noch vor ihr; die Gegenwart war Entschlossenheit. Sie wartete.
    Es war gut, im Dunkeln zu sitzen, die Gedanken nicht auf einen bestimmten Weg treiben zu müssen wie eine Herde widerspenstiger Tiere, sondern sie grasen zu lassen, wo es ihnen gefiel.
    Und dann schreckte sie doch hoch, als es klopfte, wollte fast „Ja bitte“ sagen oder „Herein!“, konnte sich aber gerade noch beherrschen und schweigen.
    Die Tür schob sich zur Seite, das Licht flammte auf, ein Mann trat herein und ging mit zögernden Schritten auf den Wandschrank zu, in dem sich die Vorräte des Medikaments befanden. Sie sah ihn nur von hinten, aber an Gang und Statur erkannte sie ihn: Sandor Nagy, den Piloten.
    Vor dem Schrank blieb er stehen und verschränkte die Hände auf dem Rücken. Offenbar hatte er noch Kraft, seiner Sucht Widerstand entgegenzusetzen, hatte vielleicht sogar beschlossen, Schluß damit zu machen, und wollte hier nur seine Kraft auf die Probe stellen. Illusionen! Absichten, die Süchtige sich selbst vorlügen, um einen Vorwand zu haben, in die Nähe der Droge zu

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