Ein süßer Sommer
Heidelberg – wie hieß die noch gleich? Das ist ja alles schon so lange her.»
«Gertrud», half ich.
«Ja, genau.» Frau Scherer nickte.
«Die Gertrud hatte nämlich keine Kinder. Ich glaube, die konnte keine kriegen. Und in so einem Fall wäre es keine Sünde, sagte Leo. Man bemüht sich ja immer. Und es könnte ja doch noch was werden. Abraham und Sarah sind auch erst im hohen Alter Eltern geworden.»
«Ja», sagte ich.
«Und Helga wurde auch erst geboren, als ihre Schwestern schon erwachsen waren. Warum soll Margarete dann nicht noch eine Tochter bekommen haben?»
«Ach was», winkte Frau Scherer ab.
«Das junge Ding hatte doch keine Ahnung. Schneit hier rein, richtet mir einen schönen Gruß von Helga aus und behauptet, Helga wäre in die Entwicklungshilfe gegangen, deshalb hätte sie sich nicht mehr bei uns melden können. Und jetzt wäre Helga ziemlich krank geworden – so ein gefährliches Virus aus Afrika.» Frau Scherer tippte sich vielsagend an die Stirn und sprach weiter:
«Dann wollte sie wissen, ob mein Sohn Examen gemacht hat und wo er unterrichtet. Der Leo hat doch nie Pädagogik studiert. Und das Mädchen wusste nicht mal, wie er hieß. Hätte sie mich ausreden lassen, wäre mir das vielleicht nicht aufgefallen. Aber kaum sag ich was von Theo – logie, wollte ich sagen. Da fragt sie schon, ob Theo verheiratet wäre. Und dann wollte sie seine Adresse haben. Die hab ich ihr aber nicht gegeben. Der Leo ist eine Seele von Mensch, er gibt sein letztes Hemd her. Da werde ich mich hüten, ihm so ein Mädchen vorbeizuschicken, das ihm das Hemd vielleicht ausziehen will.» Mir blieb nichts anderes übrig, als mich völlig unwissend zu stellen, was ich ja auch tatsächlich war. Ich griff zurück auf das, was ich mir ursprünglich zurechtgelegt hatte. Privatermittler im Auftrag der Familie. Über die Verhältnisse und die Anzahl von Margaretes Kindern sei ich nicht genau informiert. Mir sei nur bekannt, dass Helga tatsächlich schwer krank sei und nicht mehr lange zu leben habe. Ich wolle nicht ausschließen, dass ihre Nichte – in Unwissenheit des von den Eltern erteilten Auftrags – auf eigene Faust aufgebrochen sei, um ehemalige Freunde ihrer Tante an deren Sterbebett zu holen. Damit rührte ich Frau Scherer zu Tränen. Auf meine vorherigen Behauptungen Ehe und Mutterschaft kam sie nicht noch einmal zurück, wollte nur wissen:
«Die arme Helga. Was hat sie denn, um Gottes willen? Warum muss es denn immer die Guten treffen?» Das konnte ich ihr nicht sagen. Sie notierte umgehend Leos Anschrift samt einer Telefonnummer. Er betreute mehrere kleine Pfarreien in der Eifel. Da sollte ich mich besser telefonisch anmelden, damit ich die Fahrt nicht umsonst machte, meinte sie, Leo sei ja sehr beschäftigt. Sie war aber sicher, dass er sich einen Nachmittag frei nähme, um Helga Trost zu spenden und sie auf die Begegnung mit ihrem Schöpfer vorzubereiten. Zur Beerdigung käme er selbstverständlich auch, ganz bestimmt. Ich bedankte mich, rief jedoch nicht in der Pfarrei an, fuhr auch nicht in die Eifel. Ich meinte, mit Leo Scherer nicht mehr sprechen zu müssen, weil ich beim zweiten Versuch in Köln-Sülz Glück hatte, was ich jedoch schon wenige Stunden später nicht mehr so nennen mochte.
7. Kapitel
Herr Erdmann, ein Mann Ende sechzig, war aus dem Baumarkt zurück und etwas unleidlich, weil er für zwei Rollen Elektrokabel und ein paar Meter Wasserrohre einen seiner Meinung nach viel zu hohen Preis hatte zahlen müssen. Das schäbige Mehrparteienhaus gehörte ihm, war sozusagen seine Altersversorgung. Er lebte mit seiner Frau im Erdgeschoss und führte notwendige Reparaturen aus Gründen der Kostendämpfung eigenhändig aus. Der Einfachheit halber erzählte ich ihm gleich von der Nichte, die ein paar alte Freunde ans Sterbebett ihrer Tante holen wollte. Auch Herr Erdmann erinnerte sich lebhaft an Candy, war nur bei der Nichte nicht sicher. Offenbar hatte sie sich bei ihm als Helgas Tochter geoutet. Niedliches Ding, meinte er, war aber gleich pampig geworden. Und als Lügner ließ er sich nicht bezeichnen. Da ich seine Ehrlichkeit nicht bezweifelte, bekam ich Auskunft. Er war ein sehr korrekter Mensch, der über alles penibel Buch führte und niemals ein Schriftstück wegwarf. Ein Zimmer der Wohnung war als Büro eingerichtet. Herr Erdmann bezeichnete es als die Verwaltung. Mittendrin ein voll gepackter Schreibtisch, der aussah, als stamme er auch aus dem Baumarkt und könne jeden Moment unter
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