Ein süßer Sommer
der Papierlast zusammenbrechen. Rundum überquellende Regale, die letzten zehn Jahre ordentlich abgeheftet, der Rest in Schuhkartons und ähnlichen Behältnissen, die mit Jahreszahlen beschriftet waren. Ein zielsicherer Griff, und Herr Erdmann hielt das komplette Jahr in den Händen. Dabei musste er gar nicht nachsehen, wer zur fraglichen Zeit die kleine Wohnung im Dachgeschoss gemietet hatte. Erika Jungblut war das gewesen. Ihre Eltern hatten sich damals für die pünktlichen Mietzahlungen verbürgen müssen. Deshalb war die damalige Anschrift der Eltern, eine Adresse in Düren, in den Unterlagen vermerkt. Und danach suchte Herr Erdmann im Schuhkarton. Während er das tat, stellte ich meine Fragen. So weit war Candy am Samstag ja nicht gekommen. Der Name Helga Kuhn sagte ihm nichts. Das scheu lächelnde Wesen im geblümten Sommerkleid bedachte er nur mit einem Achselzucken. Möglich, dass er sie vor zwanzig Jahren mal auf dem Weg zum Dachgeschoss gesehen hatte. Aber auf dem Weg waren damals viele gewesen. Nach all der Zeit, und so was Unauffälliges vergaß man schnell. An den Fahrer des schwarzen Porsche dagegen erinnerte Herr Erdmann sich gut, mit dem hatte er einen tüchtigen Krach gehabt. Wie der Mann hieß, konnte er mir nicht verraten. Aber das war ein Freund oder Bekannter von der Jungblut gewesen. Der kam mindestens dreimal die Woche und mit Vorliebe dann, wenn die Jungblut selbst gar nicht da war. Meist hatte er eine andere im Schlepptau. Darüber allein hätte Herr Erdmann sich nicht aufregt. Er hatte nie etwas gegen Herrenbesuche gehabt, nicht mal Einwände erhoben, wenn die Herren über Nacht blieben oder wie in dem Fall noch eine Dame mitbrachten. Aber wenn sie mit einem eigenen Schlüssel kamen, das ging entschieden zu weit. Man konnte als Hausbesitzer nicht dulden, dass Schlüssel nachgemacht wurden. Sonst wusste man bei Beendigung des Mietverhältnisses doch nicht, wie viele man zurückverlangen musste. Ich bedankte mich noch einmal, nachdem er die Adresse von Erika Jungbluts Eltern gefunden hatte. Vielleicht war Helgas Sinn für Symbolik doch nicht so ausgeprägt gewesen, wie ich gedacht hatte. Die Wohnung gehört … Wahrscheinlich standen Erdkugel und Löwenkopf nur für die Anfangsbuchstaben der Vornamen. Und das Herz war immer noch Er. Nochmal ins Auto und weiter nach Düren, eigentlich mit wenig Hoffnung. Erika Jungbluts Eltern seien schon damals nicht mehr die Jüngsten gewesen, hatte Herr Erdmann gesagt. Wenn sie inzwischen verstorben und die Tochter verheiratet war, müsste ich es morgen bei den Einwohnermeldeämtern versuchen, dachte ich. Das taten Mitarbeiter der Agentur Hamacher normalerweise nie. Es war aber auch nicht nötig. Herr und Frau Jungblut lebten noch – in einem alten Siedlungshaus am Stadtrand. Auf dem Nachbargrundstück spielten ein paar dunkelhäutige Kinder. Das ganze Viertel machte einen verwahrlosten Eindruck. Erika Jungbluts Vater öffnete mir die Tür, äugte misstrauisch und vorsichtig durch einen schmalen Spalt hinaus, erkundigte sich nach meinem Begehren und zuckte heftig vor dem Begriff Ermittlungen zurück. Ich beruhigte ihn, keine Polizei. Nur ein Privatdetektiv, der einen ehemaligen Bekannten von der Erika suchte. Daraufhin durfte ich eintreten und wurde in ein dunkel gehaltenes Wohnzimmer gebeten, wo Herr Jungblut mich erst einmal über die Untaten der spielenden Kinder belehrte. Ich solle mich nicht wundern, wenn an meinem Auto gleich die Antenne, der Außenspiegel und die Radkappen fehlten.
«Die klauen wie die Raben. Nichts darf man draußen hinstellen, auch keine Wäsche mehr in den Garten hängen.» Um mein teures Gefährt nicht unnötig lange unbeaufsichtigt zu lassen, brachte ich ihn rasch wieder auf seine Tochter, auf die er sehr stolz war. Ja, die Erika hatte damals in Köln studiert. Ein fleißiges Mädchen, hatte während des ganzen Studiums gearbeitet und sich das alles selbst verdient. Nein, verheiratet war sie nicht. Der Beruf ließ ihr keine Zeit für eine Familie. Studienrätin war sie, unterrichtete an einem Gymnasium in Aachen, lebte auch dort. Über frühere Bekannte, Freunde oder Freundinnen ihrer Tochter wusste das alte Ehepaar nicht Bescheid. Doch Erikas derzeitige Adresse nannte ihr Vater mir ohne Zögern.
«Vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen.» Ein Händedruck zum Abschied. Mein Auto war noch unversehrt. Und weiter damit nach Aachen. Ich hatte keinen Stadtplan dabei, es dauerte eine Weile, ehe ich die Adresse fand. Inzwischen
Weitere Kostenlose Bücher