Ein süßer Sommer
ihren Löffel in die Butter, goss den Kaffee neben ihre Tasse und erkundigte sich beinahe schüchtern, ob sie mich begleiten dürfe. Als ich ablehnte, wollte sie wissen, ob ich vorhätte, auch noch einmal mit Frau Scherer zu sprechen.
«Ich glaube, den Weg kannst du dir sparen, Mike. Sie wusste ja gar nichts.»
«Sie wird zumindest wissen, wo ich ihren Sohn finden kann», sagte ich.
«Und Leo weiß vermutlich, wie unser Mann heißt.» So hatte ich die vermeintliche Übersetzung der Tagebuchpassage interpretiert. Candy stimmte mir zwar zu, machte aber sofort Einschränkungen. Vielleicht wusste Leo Scherer nur einen Vornamen. Das brachte uns nicht weiter. Unter Studenten war es noch nie üblich gewesen, sich mit dem Familiennamen anzusprechen. Die sagten: Gitte und Walter und Amelie und so weiter. Aus dieser Aufzählung hätte ich durchaus den Schluss ziehen können, dass sie diese Namen einmal gelesen und Helgas Tagebücher selbst verschlüsselt hatte. Aber so weit dachte ich nicht. Es schien ihr nicht recht zu sein, dass ich mich mit Frau Scherer unterhielt. Sie brachte noch mehr Argumente vor, um mir das auszureden. Wenn alte Frauen ins Plaudern gerieten, fänden sie so schnell kein Ende. Herr Erdmann sei bestimmt hilfreicher, und als Vermieter musste er auch vollständige Namen wissen. Wenn er mir Auskunft gäbe, müsste ich ja wahrscheinlich zuerst noch nach einer Frau suchen, die
«unseren» Mann damals gut genug gekannt hatte, um ihm ihre Wohnung zur Verfügung zu stellen. Das würde vielleicht auch viel Zeit in Anspruch nehmen. Da würde ich bei Frau Scherer nur wertvolle Zeit verlieren, so viel Urlaub hatte ich doch nicht mehr – und so weiter. Ich ließ sie reden und verlangte ihr die beiden Fotos ab. Helga und die Aufnahme, die sie Hamacher gezeigt hatte. Das Bild ihrer Mutter überließ sie mir mit schwerem Herzen und zittrigen Fingern. Bei dem Porschefahrer fiel es ihr nicht leichter.
«Wenn das verloren geht, Mike, dann habe ich gar nichts mehr.»
«Es geht nicht verloren», sagte ich. Die Aufnahme war zehn mal zehn Zentimeter groß, undatiert und an den Kanten abgestoßen. Die Farben hatten mit der Zeit einen Rotstich bekommen. Ein schwarzer Porsche, das Kennzeichen war tatsächlich gut lesbar, weil das Fahrzeug von vorne aufgenommen worden war. Eine Kölner Nummer, doch davon versprach ich mir nichts, daran würde sich heute kein Mensch mehr erinnern. Der Porschefahrer stand neben der offenen Autotür, einen Arm erhoben, als wolle er das Foto verhindern. Aber vielleicht schützte er auch nur seine Augen vor der Sonne. Sein Gesicht lag jedenfalls im Schatten und war nicht größer als der Nagel eines kleinen Fingers. Ich nahm eine Lupe zu Hilfe, um es mir genauer anzusehen. Es war ein Durchschnittsgesicht, durchaus attraktiv, freundlich und unbekümmert, umrahmt von dunklem Haar, das auf dem alten Foto fast schwarz aussah. Altersmäßig war Helgas große Liebe schwer zu schätzen. Er mochte damals Mitte zwanzig, konnte aber auch schon Anfang dreißig gewesen sein.
«Damit sollte sich etwas anfangen lassen», sagte ich.
«Auch wenn das Nummernschild uns heute nicht mehr hilft, ein Porsche ist schließlich kein alltägliches Auto.» In Candys Augen glomm Hoffnung auf.
«Wenn du das wirklich schaffst, Mike. Wenn du ihn findest, du kannst dir gar nicht vorstellen, was du dann für mich getan hast – und für meine Mutter.» Nein, das konnte ich mir wirklich nicht vorstellen, als ich kurz vor neun die Wohnung verließ. Zuerst fuhr ich nach Köln-Sülz, traf Herrn Erdmann jedoch nicht an. Er machte Besorgungen in einem Baumarkt, erfuhr ich von seiner Frau. In einer Stunde sei er vermutlich zurück. So lange wollte ich nicht tatenlos im Auto sitzen, fuhr weiter nach Klettenberg zur Mutter von Löwe Leo, was ich ohnehin vorhatte, gerade wegen Candys Klimmzügen, mir das auszureden. Da nahm ich an, ich würde von Frau Scherer etwas erfahren, was ich nicht wissen sollte. So war es auch. Die alte Frau war sehr überrascht, dass sich innerhalb weniger Tage bereits zum zweiten Mal jemand nach Helga erkundigte. Helga Kuhn, um genau zu sein, den Mädchennamen ihrer Mutter hatte Candy mir auch noch mit auf den Weg gegeben. Der Grund für meine Neugier interessierte Frau Scherer nur am Rande. Ich hatte mir ein paar Sätzchen zurechtgelegt. Privatermittler, im Auftrag der Familie unterwegs, um einen alten Freund aufzuspüren und an ein Sterbebett zu bringen. Doch das musste ich auf Anhieb gar nicht alles
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