Ein süßer Sommer
in den Dreißigern und kein Blümchen am Wegrand, von dem er die Finger lassen konnte. So betrachtet passte Helga, August , vortrefflich in seine Sammlung. Mauerblümchen, die pflückte er reihenweise. Immer die sanften, die spröden, die unscheinbaren, die von sonst keinem Mann beachtet wurden. Er brauchte das, zuerst die Jagd oder die Blumenpflege. Es machte ihm ungeheuren Spaß, so ein Pflänzchen im Verborgenen zu umschmeicheln und zu umhegen, bis es das Köpfchen ins Licht hielt, weil es meinte, nun sei die Sonne direkt über ihm aufgegangen. Dann die Anbetung und die Ergebenheit – für ein paar Wochen. Danach waren ihm die mickrigen Pflänzchen meist schon zu anspruchsvoll oder er ihrer überdrüssig geworden. Seine Sammelleidenschaft ließ er sich schon damals etwas kosten. Nicht dass er die Mädchen mit Geschenken verwöhnte, er bezahlte sie auch nicht für ihre Hingabe. Bezahlt wurde nur Erika Jungblut, die ihm ihre Wohnung zur Verfügung stellte, damit er ungestört und ungestraft Blümchen pflücken konnte. Sie selbst hatte angeblich kein Verhältnis mit ihm gehabt, war wohl auch nicht ganz sein Typ gewesen. Und an Helga erinnerte sie sich wirklich nur vage und ausschließlich im Zusammenhang mit irgendwelchen Notizen zu Vorlesungen.
«Die Mädchen, mit denen er sich amüsierte, habe ich praktisch nie zu Gesicht bekommen», erzählte sie.
«Ich habe abends gekellnert, ging um sieben aus der Wohnung und brauchte mein Bett erst um zwei in der Nacht. Es ist nur einmal vorgekommen, dass ich ihn samt Anhang rauswerfen musste, weil er eine völlig Verklemmte erwischt hatte und noch nicht am Ziel war, als ich nach Hause kam. Aber das war nicht Helga, sonst würde ich mich besser an sie erinnern.» Meist habe der schöne Holger auf dem Unigelände Bescheid gesagt, dass er ein Bett brauche, damit sie es frisch bezog, fuhr sie fort. In dem Punkt sei er sehr penibel gewesen. Im Bad hätten immer frische Handtücher liegen und im Kühlschrank ein paar Delikatessen für ein Mondscheindinner stehen müssen.
«Die Flasche Champagner brachte er selbst mit. Die Mädchen hatten solch ein edles Tröpfchen noch nie gekostet und wussten nicht, was er ihnen kredenzte. Er löste zu Hause die Etiketten von teuren Marken und klebte sie auf ein billiges Gesöff aus dem Supermarkt. Ich glaube, er hat die Mädchen damit auch geduscht. Das Laken war oft feucht, wenn ich mit geschwollenen Füßen von der Arbeit kam. Ich musste ein Gummituch darunter legen, damit er mir nicht auch noch die Matratze versaute. Aber mein Schaden war es nicht. Dreißig Mark zahlte er mir pro Abend. Was ich für ihn einkaufte, rechnete er auch großzügig ab.» Im Wesentlichen bestätigte Erika Jungblut, was ich bereits von Herrn Erdmann gehört hatte.
«Er hatte einen eigenen Schlüssel. Deshalb gab es ein paar Mal Ärger mit dem Hausbesitzer. Ich glaube, dem hat er dann auch etwas zugesteckt, und mir wurde die Umlage erhöht, weil in meiner Wohnung mehr Wasser verbraucht wurde. Damit war die Sache erledigt.» Verheiratet war der schöne Holger im Sommer noch nicht gewesen, das wusste Erika Jungblut mit Sicherheit. Nur verlobt mit einer von und zu, Geldadel, Tochter eines Industriellen. Durchaus attraktive Frau, etwas älter als er und nicht so anschmiegsam, wie er es für sein Ego brauchte. Die Geheimniskrämerei mit Erika Jungbluts Wohnung erklärte sich in der Tatsache, dass der schöne Holger damals keine eigene Wohnung hatte. Er lebte bereits mit seiner Verlobten und den Schwiegereltern in spe unter einem Dach, war aber zu knapp bei Kasse, um neben seiner offiziellen Bleibe ein verschwiegenes Liebesnest anmieten zu können. Hotelzimmer waren ihm nicht diskret genug. Dass er politisch sehr aktiv war, hatte sie bereits erwähnt. In die Regierung wollte er jedoch nicht, nur ins Umfeld, die Spitze war ihm zu unsicher. Ein ruhiger Posten in einem Ministerium. Dafür hoffte er auf die Unterstützung seines zukünftigen Schwiegervaters und konnte es sich nicht leisten, die Familie zu verärgern. Ihr herbes Gesicht spiegelte Genugtuung, als sie vom abrupten Ende ihrer Bekanntschaft mit ihm berichtete.
«Zwei oder drei Monate vor seiner Hochzeit war das, im Sommer . Vom einen Tag auf den anderen, ohne jede Vorankündigung, gab er dem Hausbesitzer den Schlüssel zurück, nicht etwa mir. Ich hatte den Schlüssel anfertigen lassen und dafür bezahlt. Danach habe ich den schönen Holger wochenlang nicht zu Gesicht bekommen. An der Uni ließ er sich nicht
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