Ein süßer Sommer
viel für mich tust. Ich dachte immer, so etwas könne mir nicht passieren, solange das mit meiner Mutter …» Der Rest war nur undeutliches Gemurmel. Ich konnte es einfach nicht mehr hören und verschloss ihr den Mund. Nachdem wir wieder in meiner Wohnung waren, tranken wir Kaffee und aßen Butterkekse aus ihrem Reiseproviant. Aber sie war zu überdreht, konnte nicht lange still sitzen. Zuerst stürzte sie sich auf den Abwasch und wischte die Küche. Anschließend holte sie meine Hemden und ihre T-Shirts vom Balkon, nahm das Bügelbrett aus dem Einbauschrank und wühlte auf dem eingelegten Regalboden herum.
«Hast du kein Bügeleisen, Mike?» Doch, ich hatte mir nach meinem Einzug eins gekauft, weil ich nicht erwartet hatte, dass meine Mutter mir auch noch die Hemden bügelte. Deshalb besaß ich ja auch ein Bügelbrett. Das Eisen musste auch irgendwo im Einbauschrank liegen. Aber –
«Lass das», sagte ich.
«Wir setzen uns ins Wohnzimmer und hören Musik.»
«Sei mir nicht böse, Mike. Ich muss mich beschäftigen, sonst drehe ich durch. Allein bei der Vorstellung …» Endlich hatte sie das Bügeleisen gefunden, kam damit in die Küche.
«Aber wir können ins Wohnzimmer gehen, Mike. Da ist es für dich gemütlicher. Bügeln kann ich da auch.» Also trug ich das Bügelbrett ins Wohnzimmer, sie schleppte Wäsche und Eisen hinterher, machte sich an die Arbeit und plapperte unermüdlich, wie das wäre, wenn ihre Mutter und Holger Gerswein sich nach all den Jahren wieder in die Augen schauten. In schillernden Farben malte sie sich diesen großartigen und ergreifenden Moment aus.
«Du ahnst gar nicht, wie lange ich darüber schon nachdenke, Mike. Immer habe ich mir vorgestellt, dass ich in einem Café sitze und auf ihn warte. Dass ich vorher bereits mit ihm telefoniert habe. Dass er weiß, wer ich bin. Dass ich ihn sofort erkenne, wenn ich ihn sehe, weil er sich kaum verändert hat. Er kommt herein, schaut sich suchend um. Ich stehe auf und gehe zu ihm. Und alles, was ich mir vorgestellt hatte, löste sich in Luft auf, als dieser Vermieter sagte, bei ihm hätte nie ein Mann gewohnt. In dem Moment hatte ich das Gefühl, mir zieht jemand den Boden unter den Füßen weg. – Wie lange kann das dauern, bis du seine Adresse bekommst?»
«Ein paar Tage», sagte ich.
«Vielleicht länger. Ich kann nicht einfach herumtelefonieren. Das muss ich behutsam angehen.»
«Ja, natürlich», meinte sie. Ihre rechte Hand mit dem Bügeleisen fuhr über einen Hemdrücken. Die linke Hand strich den Stoff glatt, die rechte schob das heiße Eisen hinterher. Und die linke verhielt einen Moment, als Candy den Kopf zur Seite legte, als horche sie dem Klang ihrer Stimme nach.
«Aber du schaffst das, Mike, da bin ich sicher. Du schaffst einfach alles.» Gleich anschließend kam ein vernehmliches Zischen, als sie die Luft einzog. Sie hatte sich die Finger verbrannt. Mir erschien das wie ein bösen Omen. Und sie strahlte mich an.
«Glaubst du an Schicksal, Mike? Ich meine, glaubst du daran, dass es etwas gibt, das zwei Menschen zusammenführt, die sich sonst nie begegnet wären? Wie viele Wagen hatte der Zug? Ich hatte keine Platzkarte und bin ausgerechnet in den gestiegen, in dem ich dich finden konnte. Was würde ich nur ohne dich tun?» Leben – wahrscheinlich heute noch, in Hamburg oder Philadelphia, vielleicht auch auf einem Forschungsschiff vor Neufundland. Manchmal sollte man wirklich an Schicksal glauben, nicht an Gott, nur an etwas, das einen Mann, der über bestimmte Informationen verfügt oder sie zumindest beschaffen kann, zur falschen Zeit an den falschen Platz setzt.
8. Kapitel
Am Donnerstagmorgen begann für mich wieder der Alltag. Mein Wecker klingelte um halb sieben. Candy stand mit mir auf, machte Frühstück für uns beide, erkundigte sich, ob ich zu Mittag heimkäme oder erst zum Abendessen wieder da sei, und ob ich Fisch oder Fleisch haben möchte.
«Ich koche dir etwas Leckeres, Mike. Wenn du lieber Fisch magst, ich esse ihn zwar nicht, aber ich kann ihn zubereiten. Das ist überhaupt kein Problem. Ich kenne sogar ein ganz tolles Rezept. Aber dafür brauche ich eine frische Scholle. Wo bekomme ich die? Hier gibt es doch bestimmt irgendwo ein Fachgeschäft. Frischen Fisch kann man nicht im Supermarkt kaufen.» Ich ließ ihr die Ersatzschlüssel für Wohnungs- und Haustür da, wollte ihr auch Geld für Einkäufe geben. Bis dahin hatte sie die Lebensmittel von ihrem Geld bezahlt. Das wollte sie so. Wenn zwei
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