Ein süßer Sommer
sehnlichster und geheimster Wunsch sein musste. Er würde vielleicht selber ein bisschen sterben, wenn er Helga wiedersah. So wie Helga damals gestorben war, ohne dass es jemand bemerkte, Das hat sie tatsächlich so gesagt, genau so, ich weiß es noch, als hätte ich es erst vor ein paar Minuten gehört: Dass Gerswein ein bisschen sterben würde bei diesem Wiedersehen. Weil es eben ganz schrecklich war, nach all den Jahren endlich die große Liebe wieder zu finden, nur um für immer Abschied nehmen zu müssen. Irgendwann saßen wir auf der Couch. Die Jeans hatte Candy ausgezogen, sie war zu eng, um darin bequem zu sitzen. Dabei saß sie gar nicht. Sie lag mit dem Kopf in meinem Schoß, zitierte mit geschlossenen Augen auswendig aus dem Tagebuch ganze Passagen von Verzicht und dem Brennen im Innern, dieser grausamen Leere. Das dünne T-Shirt verrutschte immer weiter nach oben. Glatte, braune Haut, so weich wie Watte. Ich konnte nicht anders. Ihre Stimme und die Atmosphäre von Sehnsucht und Leid, die sie damit im Zimmer ausbreitete, übertrugen sich auf meine Hände. Und sie erhob keine Einwände, hatte sich wohl selbst in einen weichen, nachgiebigen Zustand versetzt – oder sie meinte, mich für meine Mühe entschädigen zu müssen. Ein paar Küsse und die Zärtlichkeit der Fingerspitzen, ein paar kleine Schritte weiter als am Abend zuvor, mehr war nicht erlaubt. Candy hielt die Augen geschlossen und atmete zitternd. Manchmal glaubte ich, im nächsten Augenblick zu zerplatzen. Aber es war noch erträglich, hatte wohl etwas von Verantwortung. Zweimal dachte ich flüchtig, eine Jungfrau. Und es war gut, darüber nachzudenken. Es verhinderte, dass ich die Beherrschung verlor. Irgendwann schloss sich ihr Körper dem zittrigen Atem an. Sie riss die Augen weit auf, spannte sämtliche Muskeln an, presste den Kopf so fest gegen meine Rippen, dass sich noch eine Viertelstunde später der rote Fleck auf ihrer Stirn abzeichnete. Ein paar heftige Atemstöße und noch ein langer, zittriger Seufzer. Sie stieß die Luft aus, lächelte ungläubig und sehr verlegen.
«Puh», flüsterte sie,«jetzt ist mir aber warm geworden.» Dann lag sie ganz weich in meinem Arm, schaute mir unverwandt ins Gesicht.
«Und was machen wir jetzt mit dir, Mike?»
«Nichts», sagte ich. Ich glaube, ich habe sie nie mehr geliebt als an diesem Abend. Am nächsten Morgen, das war der Mittwoch und mein letzter Urlaubstag, stürzte sie sich gleich nach dem Frühstück aufs Telefon. Natürlich erreichte sie nichts bei der Auskunft, obwohl sie, wie ich mir das gedacht hatte, mit Leben und Tod argumentierte. Als sie auflegte, flossen wieder reichlich Tränen.
«Er hat eine Geheimnummer, Mike. Wieso denn? Ist er so wichtig, oder bildet er sich das nur ein?» Was Holger Gerswein beruflich machte, hatte ich am vergangenen Abend nicht erwähnt. Nun machte ich eine erste Andeutung. Ich konnte sie eben nicht weinen sehen.
«Erika Jungblut meinte, er sei in die Politik gegangen.»
«Nein», jammerte Candy.
«Das darf nicht wahr sein! Dann hat er bestimmt Leibwächter, die auf Schritt und Tritt an seinen Fersen hängen. Wenn man überhaupt an ihn rankommt, wie soll man sich denn ungestört mit ihm unterhalten?»
«Auch Leibwächter können diskret sein», sagte ich.
«Aber ich glaube nicht, dass er welche hat. So wichtig kann er nicht sein. Sonst hätte man seinen Namen bestimmt schon häufiger in den Medien gehört oder gelesen. Wahrscheinlich ist er nur ein unbedeutendes Licht in irgendeinem Ministerium. Das finde ich raus.»
«Wie denn?» Es klang immer noch jämmerlich.
«Sogar der Kanzler muss Steuern zahlen», sagte ich.
«Bei irgendeinem Finanzamt ist Gerswein registriert. Und ich kenne ein paar Finanzbeamte, die das Herz auf dem rechten Fleck haben. Aber wenn ich ihn ausfindig mache, werde ich der Erste von uns beiden sein, der mit ihm spricht. Zum einen stelle ich fest, ob du dich ungestört mit ihm unterhalten kannst. Zum anderen kann ich ihm schon mal erklären, worum es geht. Dann ist es für dich leichter.» Zu Beginn meiner Erklärung hatte Candy noch gelächelt, nun schüttelte sie energisch den Kopf.
«Nein, Mike, das finde ich nicht gut.» Sie hatte ihre Meinung über Nacht offenbar grundlegend geändert.
«Ich habe lange nachgedacht über das, was diese Frau Jungblut dir erzählt hat. Wenn sie nun nicht völlig Unrecht hatte mit den vielen Mädchen; ich meine, es könnte ja sein, dass er viele Affären hatte. Aber dann wird er bestimmt
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