Ein süßer Sommer
Mader wies mit einer unnachahmlich damenhaft eleganten Geste auf letzteren und sortierte all die Runzeln in ihrem Gesicht zu einem erwartungsfrohen Lächeln.
«Das ist, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, das neue Gehirn meiner Firma und der schlimme Bursche, der uns so viele Sorgen bereitet», erklärte sie mir und erkundigte sich, ob ich die von ihr zusammengestellten Unterlagen erhalten hätte. Es wunderte sie anscheinend, dass ich nichts mitbrachte. Als ich nickte, wollte sie noch wissen, ob diese Unterlagen ausreichend Licht in die mysteriöse Angelegenheit gebracht hätten oder ob sie mir die Sache mit den größer werdenden Zahlen rasch noch einmal erläutern solle.
«Nein, vielen Dank», sagte ich, was sie nicht daran hinderte, es trotzdem zu tun. Dabei entstand bei mir der Eindruck, dass der Sprung in ihrer Schüssel gar nicht so groß war, wie Hamacher angenommen hatte. Natürlich konnte ein Computer nicht eigenmächtig Zahlen vergrößern, aber bestimmte Computerviren taten das, koppelten sich an Arbeitsprogramme und plusterten diese mit jedem Start mehr auf, bis es schließlich zum Kollaps kam. Dank der regelmäßigen Fortbildung, die Hamacher seinen Mitarbeitern angedeihen ließ, war ich zwar nicht unbedingt ein Experte auf diesem Gebiet, aber auch kein blutiger Laie mehr. Ich hätte doch besser die Papierstapel aus meinem Kleiderschrank mitgebracht, dachte ich, oder wenigstens die beiden kryptographischen Listen, die Frau Mader hatte anfertigen lassen, damit ich Daten, vielmehr Dateigrößen vergleichen könnte. Nachdem Frau Mader mich endlich allein gelassen hatte, griff ich zum Telefon und rief in meiner Wohnung an, um Candy zu bitten, sie solle die Papiere aus meinem Kleiderschrank nehmen, sich ein Taxi rufen und mir den ganzen Kram herbringen. Es klingelte und klingelte, abgehoben wurde nicht. Wahrscheinlich steht sie unter der Dusche, dachte ich und probierte es eine Viertelstunde später noch einmal. Diesmal war besetzt. Jetzt telefoniert sie bestimmt mit Mami, vermutete ich und fühlte einen Anflug von Panik bei der Vorstellung, Mamis Zustand könne sich dramatisch verschlechtert haben und Candy eilig den Heimweg antreten. Nach weiteren zehn Minuten war immer noch besetzt, eine halbe Stunde später war die Leitung zwar wieder frei, aber Candy ging nicht ran. Inzwischen war Frau Mader auf meine Telefoniererei, beziehungsweise die vergeblichen Versuche, aufmerksam geworden. Vermutlich hatte der Pförtner sie informiert, in seinem Kabäuschen befand sich die Telefonzentrale. Frau Mader schaute kurz zu mir rein, um festzustellen, ob ich ein Problem hätte. Da ich den Computer noch nicht in Betrieb genommen hatte, tat sie das für mich und bemerkte, dass ich offenbar nicht vorhätte, zügig zu arbeiten. Wenn es durch die Bummelei länger dauerte, schlüge sich das ja positiv in der Rechnung der Agentur Hamacher nieder. Ich versicherte ihr, es sei nicht meine Absicht, die Kosten in die Höhe zu treiben. Ich hätte nur schlicht und ergreifend die Papiere vergessen und damit keine Vergleichsdaten zur Hand. Dies peinliche Geständnis nötigte ihr ein großmütterlich verständnisvolles Lächeln ab. Warum hatte ich das denn nicht gleich gesagt? Sie hatte doch Kopien anfertigen lassen. Ich bekam einen Kaffee und einige Stapel Papier auf den Schreibtisch gelegt. Aber weit her war es mit meiner Konzentration nicht mehr. Nun fragte ich mich unentwegt, warum Candy nicht ans Telefon ging. Ob sie nur unterwegs war, um einzukaufen? Eine frische Scholle fürs Abendessen und etwas Schickes oder eher Schlichtes, dezente Eleganz für das erste Treffen mit dem Herrn Ministerialrat. Ob sie sich auf dem Heimweg befand, weil Mamis Zustand sich tatsächlich verschlechtert hatte? Oder unterwegs Richtung Aachen, um persönlich mit Erika Jungblut zu sprechen? Hatte ich einen Fehler gemacht, die Studienrätin mit Namen zu nennen? Ich hatte Erika Jungblut nicht gefragt, wo Holger Gersweins Schwiegereltern vor zwanzig Jahren gewohnt hatten. Candy würde sich danach erkundigen, da war ich absolut sicher. Und vielleicht wohnten sie immer noch da – zusammen mit Tochter und Schwiegersohn. Oder die jungen Leute lebten inzwischen allein im Stammsitz der Familie, irgendwo in Köln. Und wenn Candy erst diese Adresse hatte, brauchte sie mich nicht mehr. Es ist wohl verständlich, dass ich derart abgelenkt meine Schwierigkeiten in der Firma Mader hatte. Aber nicht nur deshalb scheint mir dieser Einsatz so bedeutsam. Rückblickend
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