Ein süßer Sommer
weiter.» Das sah sie natürlich anders.
«Jetzt, wo ich weiß, wie er heißt, finde ich auch heraus, wo er wohnt.» Sie beruhigte sich wieder, wischte die Tränen mit einem Handrücken ab und holte den Auflauf aus dem Backofen. Während wir aßen, machte ich einen zaghaften Versuch, sie schonend darauf vorzubereiten, dass sie sich völlig falsche Vorstellungen von Mamis Herz machte. Ich erzählte ihr, was ich über Gerswein wusste, schob Erika Jungblut als Quelle vor. Ein Schürzenjäger, wie er im Buche stand. Vermutlich kümmerte ihn die sterbende Mutter einen feuchten Dreck, und er machte lieber der Tochter Avancen. Aber da stieß ich auf taube Ohren. Candy verteidigte ihn wie eine Löwin ihr Junges. Woher wollte Erika Jungblut denn wissen, wie lange seine Affären gedauert hatten und wie viele es gewesen waren, wenn sie die Mädchen nie zu Gesicht bekommen hatte? Vielleicht waren es vor
«meiner Mutter» einige gewesen, aber danach bestimmt nicht mehr. Er musste
«meine Mutter» wahnsinnig geliebt haben, sonst hätte er doch nicht alles Menschenmögliche getan, um sie wieder zu finden.
«Das hat er wahrscheinlich auch nicht», sagte ich.
«Er hat erst im Herbst geheiratet. Wenn er vorher nach deiner Mutter gesucht hätte, müsste er das kurz nach ihrem Wegzug aus Köln getan haben, also im Sommer . Wenn er in dem Jahr bei deiner Großmutter und bei Tante Gertrud gewesen sein soll, konnte er schwerlich etwas von Scheidung erzählen. Und wenn er deiner Mutter weisgemacht hat, er sei verheiratet, dann vielleicht nur, damit sie sich keine Hoffnungen …»
«Das habe ich wahrscheinlich falsch interpretiert», wurde mir das Wort abgeschnitten.
«Gebunden, hat sie geschrieben. Dabei habe ich an eine Ehe gedacht, weil Margarete sagte, Tante Gertrud hätte von Scheidung gesprochen. Aber vielleicht hatte Tante Gertrud das missverstanden. Vielleicht hat er nur von Trennung gesprochen. Wenn man richtig darüber nachdenkt …» Auch eine Verlobung mit einer Frau, deren Vater ihn beruflich fördern konnte, hätte
«meine Mutter» veranlasst, sich mit blutendem Herzen zurückzuziehen. Das hatte Helga getan. Candy hatte es schwarz auf weiß, vielmehr blau auf weiß und verwaschen von den Tränen, die Helga vergossen hatte, während sie ihren Entschluss oder das Ergebnis desselben festhielt. Das Büchlein holte Candy nicht zum Beweis, konnte die entsprechende Stelle ja auswendig zitieren:
«Warum habe ich nicht gekämpft um mein Glück? Wie konnte ich aufgeben? Wie konnte ich gehen? Gegangen bin ich nur mit den Füßen. Ich bin gestorben dabei, und niemand bemerkt es.» Und diese Passage sprach, wenn man genauer informiert war, natürlich für eine Verlobung. Gegen eine Braut hätte sich der Kampf ja gelohnt, es wäre jedenfalls moralisch nicht verwerflich gewesen, hätte ihm nur Abstriche bei der Karriere abverlangt. Dass
«meine Mutter» ihr Herz für sich ein wenig verklärt haben könnte, wollte Candy nicht völlig ausschließen. Aber es musste von seiner Seite ebenfalls die ganz große Liebe gewesen sein. Dafür sprachen die Fakten. Dass er den Schlüssel für Erika Jungbluts Wohnung zurückgab: Nachdem
«meine Mutter» Köln verlassen hatte, ertrug er es eben nicht mehr, den Platz zu sehen, an dem er so unendlich glücklich mit ihr gewesen war. Dass er sich mit der Schlüsselrückgabe ein ganzes Jahr Zeit gelassen hatte, irritierte Candy nicht: Vielleicht war er vorher noch häufig allein in dieser Wohnung gewesen und hatte getrauert. Er war bei Tante Gertrud gewesen! Und vielleicht hatte er gesagt, wenn er Helga nicht wieder fände, würde er eine andere heiraten. Vielleicht hatte er nur erklärt, er wolle sich von seiner Braut trennen, wer wollte das heute noch sagen? Tante Gertrud durfte man nicht danach fragen, die bekäme Zustände, hatte ihn ja nie ausstehen können. Dass er laut Erika Jungblut im Sommer Ärger mit seiner Verlobten bekommen hatte, sprach aus Candys Sicht ebenfalls für ihre Theorie. Vermutlich hatte er seiner Braut kurz vor der Hochzeit gebeichtet, dass er eine andere Frau mehr liebe als sie. Und dann hatte er sie doch geheiratet, weil Helga für ihn verloren war. Und wenn er heute immer noch junge Mädchen vernaschen sollte, sprach das nicht für einen schlechten Charakter, fand Candy. Er suchte wahrscheinlich unbewusst eine zweite Helga. Alles ganz normal, zumindest menschlich und nachvollziehbar. Ganz ohne Frage würde Holger Gerswein ihren Wunsch erfüllen, weil es auch sein
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