Ein süßer Sommer
anderer Typ war. Selbstbewusst, fast schon zu sehr von sich eingenommen. Herr Bastich war mir auf Anhieb unsympathisch. Dass er Anfang fünfzig war, wusste ich aus seiner Personalakte. Er sah um einiges jünger aus, war mittelgroß, schlank und durchtrainiert. Ein sonnengebräuntes, attraktives Gesicht, noch volles, dunkles Haar. Mit anderen Worten, ein Typ wie der schöne Holger. Obwohl ich nicht wusste, welch ein Gebaren Holger Gerswein an den Tag legte, wenn sich holde Weiblichkeit in seiner Nähe aufhielt, drängte sich der Abteilungsleiter zu einem Vergleich förmlich auf. Ich hatte Mühe, mich auf Frau Möller aus der Buchhaltung zu konzentrieren. Von ihr erfuhr ich bei einem Quarkdessert, dass die Seniorchefin etliche Computerkurse absolviert hatte und sich seitdem einbildete, sie könne das vernetzte System optimieren, wobei sie mit Vorliebe die Kalkulation abstürzen ließ. Frau Möller vertrat sogar die Ansicht, für die Probleme mit den Computern sei einzig und allein Frau Mader verantwortlich. Um zwei war Büroschluss in der Verwaltung, ich blieb noch bis um vier – ungestört von Frau Mader. Dann fuhr ich wie schon am Vortag zur Agentur, Auto tauschen. Hamacher sei in Frankfurt, sagte Frau Grubert. In der dortigen Filiale musste der Chef sich auch hin und wieder blicken lassen. Da konnte man wirklich an Schicksal glauben: Hamacher war doch eigentlich immer unterwegs. Und als Candy kam, war er da, konnte dieses Video aufnehmen. Ohne das Video hätte ich vermutlich nie von Candy gehört, dass ihre Mutter nur noch kurze Zeit zu leben hätte. Und nie erfahren, dass sie ein Foto von Gerswein besaß. Und ohne das Foto hätte ich mich kaum auf die Suche nach ihm gemacht. Hamacher ließ mir durch Frau Grubert ausrichten, dass er am Samstagvormittag Zeit für mich hätte, falls etwas Besonderes anläge. Ansonsten reiche ein Zwischenbericht. Im Grunde gab es noch nicht viel zu berichten. Und unser Büro war besetzt, Philipp Assmann saß an dem Computer, den wir gemeinsam nutzten. Das Sekretariat dagegen war verwaist. Tamara hatte bereits Feierabend. Noch so eine günstige Gelegenheit, diesmal ließ ich sie nicht verstreichen. Frau Grubert hatte nichts dagegen, dass ich meinen Zwischenbericht an Tamaras Computer tippte. Ich schrieb eine halbe Seite über Computerviren, Herrn Bastich, Fräulein Gudrun, Frau Möller und die Seniorchefin, dabei schaute Frau Grubert mir noch über die Schulter. Dann ging sie ins Chefbüro, um das dortige Telefon zu bewachen und sich dabei in aller Ruhe einen Kaffee zu genehmigen. Und ich rief das Kundenverzeichnis auf. Die Daten waren nicht gesichert. Ich musste nur den entsprechenden Befehl und
«Gerswein Holger» eingeben, da hatte ich das Gewünschte bereits auf dem Monitor. Eine Adresse in Köln, ohne Telefon. Und eine Telefonnummer mit Bonner Vorwahl, sein Büro, vermutete ich. Auf dem Heimweg fuhr ich bei der Kölner Adresse vorbei, saß eine ganze Weile im Auto und beobachtete den Hauseingang. Es war ein sehr gepflegter Wohnkomplex in Ufernähe, mit Blick auf den Rhein, gehobene Preislage. Ich konnte mir allerdings nicht vorstellen, dass eine von und zu Geldadel sich mit einer Etagenwohnung begnügte. Vermutlich handelte es sich bei dieser Adresse um den Zweitwohnsitz des Herrn Ministerialrats. Inzwischen war er wohl besser bei Kasse und konnte sich dies komfortable Liebesnest leisten. Ein gutes Gefühl hatte ich nicht, als ich nach Hause fuhr. Doch mein Unbehagen hatte weniger mit Holger Gerswein zu tun als vielmehr mit meinen eigenen Hoffnungen. Wenn ich Candy Gersweins Adresse und die Bonner Telefonnummer nannte, bekam ich im Gegenzug von ihr übers Wochenende vielleicht etwas mehr als Küsse und Streicheleinheiten. Ich fühlte mich ziemlich schäbig und berechnend bei dieser Hoffnung. Sie wunderte sich, dass ich wieder so spät heimkam. Aber diesmal konnte ich behaupten, ich hätte mich am Vormittag um Gersweins Daten bemüht und dann so lange auf die Rückmeldung warten müssen, weil der Finanzbeamte mit Herz diesen Anruf nicht aus dem Amt hätte erledigen wollen. Im nächsten Moment hing sie auch schon an meinem Hals.
«O Mike. Ich weiß gar nicht, was ich jetzt sagen soll. Du hast es tatsächlich geschafft. Danke.» Dabei ließ sie es bewenden. Mit dem Freitagabend begann meine zweite Woche mit ihr. Und es war alles schon so normal. Abendessen, Küche aufräumen, danach schlug sie einen Spaziergang am Rhein vor. Es war ein milder Abend. Ich dachte, sie hätte kein
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