Ein süßer Sommer
sich noch nicht getraut, Holger Gerswein anzurufen. Ich dagegen hatte erneut mit meiner Mutter telefoniert, der es merkwürdig vorkam, dass ihre unermüdlichen Hände in meiner Wohnung plötzlich nicht mehr gebraucht wurden oder unerwünscht waren. Dass ich sogar meine Socken, Unterhosen und Hemden von Hand im Waschbecken schrubbte, glaubte sie keine Sekunde lang. Mutter nahm an, ich hätte etwas zu verbergen. So musste Candy sich am Dienstagvormittag mit mütterlicher Neugier auseinander setzen und ich am Abend drei Dutzend Fragen beantworten.
«Wer ist das Mädchen, Michael? Wieso war sie allein in deiner Wohnung? Wie lange kennst du sie denn schon? Warum hast du mir bisher nichts davon gesagt, dass du eine Wildfremde bei dir wohnen lässt? Da hätte ich doch schon letzte Woche mal nach dem Rechten geguckt. Meinst du nicht, du wärst ziemlich leichtsinnig? Bei deinem Beruf hätte ich mehr Vorsicht und Misstrauen erwartet. Du müsstest doch besser als ich wissen, wie schlecht die Menschen sind.» Aber Candy doch nicht, dachte ich. Vielleicht hat sie an diesem Dienstag zum ersten Mal mit Gerswein telefoniert. Vielleicht hat sie ihn auch am selben Nachmittag oder mittwochs zum ersten Mal getroffen für ein kurzes Vorgespräch. Er konnte in sein Büro kommen und gehen, wie er wollte. An dem Mittwochabend erklärte sie mir, ich solle mich nicht wundern, sie hätte sich etwas gekauft und in meinen Schrank gehängt. Ein sehr verspielt wirkendes, wadenlanges weißes Kleid mit Volants, einem Gummizug im Schulterbereich und Streublümchen, das mich auf Anhieb an Helga und erinnerte. Dazu weiße Sandaletten und eine leichte Strickjacke. Kleid und Jacke hingen von da an zwischen meinen Anzügen. Dieser Einkauf legt den Verdacht nahe, dass Candy mittwochs zumindest schon wusste, dass Gerswein mit ihr ausgehen wollte. Sonst hätte sie kaum die geeignete Garderobe für diesen Anlass besorgt. Aber wie schon gesagt, es ließ sich später nicht mehr feststellen, wann sie den ersten Kontakt mit ihm hatte. Mir erzählte sie erst am Donnerstagabend, sie habe sich endlich getraut, ihn anzurufen. Sie gab auch zu, dass sie ihm nicht gesagt hatte, wer sie war.
«Ich dachte, es ist bestimmt seine Sekretärin oder sonst wer am Apparat. Du glaubst nicht, was ich mir alles zurechtgelegt hatte, damit ich durchgestellt werde, Mike. Und dann hatte ich sofort ihn in der Leitung. Ich war so erschrocken, Mike. Er wollte natürlich wissen, wer mir diese Nummer gegeben hat.» Das hatte ich nicht einkalkuliert. Mir wurde ein klein wenig übel.
«Was hast du ihm erzählt?», fragte ich.
«Ich glaube, ich habe mich geschickt aus der Affäre gezogen. Mach dir deshalb keine Sorgen, Mike. Ich habe so getan, als wäre ich eine Schülerin von Frau Jungblut, aber ich habe ihren Namen nicht erwähnt, nur von einer Lehrerin gesprochen und behauptet, ich wolle für unsere Schülerzeitung einen Artikel über einen Politiker schreiben. Das hat ihn amüsiert. Er klang sehr gönnerhaft und schlug vor, dass wir uns am Samstagnachmittag treffen. Dann könnte ich ihm alle Fragen stellen, die mir auf der Seele brennen.» Welchen Treffpunkt Gerswein vorgeschlagen hatte, erfuhr ich nicht. Sie direkt danach zu fragen widerstrebte mir. Im Grunde war es mir ja lieber, mich nicht ständig mit diesem Thema auseinander setzen zu müssen und stattdessen so zu tun, als stünde uns noch eine Ewigkeit zur Verfügung. Freitags, das war der . Juli, ging ich davon aus, dass ich wieder erst spätabends heimkäme. Beim Frühstück sagte ich ihr das auch. Da ich nicht immer mit Überstunden argumentieren mochte, bot ich ihr einen Stammtisch als Erklärung, den ich jetzt schon zweimal versäumt hätte. Nochmal könne ich mir das nicht leisten, wenn ich meine Freunde nicht völlig verärgern wollte. Vormittags befreite ich das Computernetzwerk der Firma Mader von allem, was nicht hineingehörte. Um zwei Uhr war Feierabend in der Verwaltung. Um vier gingen auch die Leute aus der Fertigung ins Wochenende. Ich sollte bleiben und aufpassen, ob jemand zurückkam und sich an einem Computer zu schaffen machte, was möglicherweise erst am späten Abend der Fall wäre. Es passierte jedoch schon kurz nach zwei, kaum dass Frau Möller in der Buchhaltung ihren Platz geräumt hatte. Und es war – wie die Seniorchefin vermutet hatte – Herr Bastich aus der Fertigung mit einer Diskette, von der aus er einen neuen Übeltäter ins Firmennetz schleusen wollte. Auf frischer Tat ertappt, mit dem Beweis
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