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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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nächsten Kommunalwahl für den Stadtrat kandidieren. Sie war überschwänglich und sagte ständig, es sei so wunderbar, wieder hier zu sein – sie wohnte keine fünfhundert Meter entfernt. Von sich aus und ohne dass jemand gefragt hätte, erzählte sie, dass Rose freie Journalistin sei und »politisch sehr aktiv«.
    Julia fragte: »Und welcher Fall nimmt denn ihre Aufmerksamkeit in Anspruch, wenn ich fragen darf?«
    Jill verstand die Frage nicht, denn es gab natürlich nur einen möglichen Fall, die Revolution, und sagte, Rose sei »mit allem« beschäftigt.
    Gegen Ende einer fröhlichen Mahlzeit kam Johnny herein. In letzter Zeit wirkte er noch militärischer, strenger, ernster. Er trug eine Tarnjacke aus Armeebeständen und darunter einen engen schwarzen Rollkragenpullover und schwarze Jeans. Sein graues Haar war zu zentimeterkurzen Stoppeln geschnitten. Er hielt Colin kurz die Hand hin, nickte, sagte: »Glückwunsch«, und zu seiner Mutter: »Mutti, ich hoffe, es geht dir gut.« »Ganz gut«, sagte Julia. Zu Wilhelm: »Ach, Sie sind auch da. Großartig.« Frances nickte er zu. Zu Andrew sagte er: »Ich bin froh, dass du Internationales Recht machst. Das könnte nützlich sein.« Er schien sich an Sophie zu erinnern, denn er verbeugte sich kurz vor ihr, und Jill, die er gut kannte, bekam einen Genossen-Gruß. Dann setzte er sich, und Frances füllte seinen Teller. Wilhelm schenkte ihm Wein ein, und Genosse Johnny hob sein Glas auf die Arbeiter der Welt. Ehe er mit einer Rede fortfuhr, die er gerade vor der Versammlung gehalten hatte, von der er kam, richtete er aus, dass Geoffrey, James und Daniel sich entschuldigten. Sicher verstehe es doch jeder, dass
der Kampf
an erster Stelle stehen müsse: amerikanischer Imperialismus … die militärisch-industrielle Maschinerie … Großbritanniens Rolle als Lakai … der Vietnamkrieg …
    Julia, die den Vietnamkrieg schrecklich fand, unterbrach Johnny mit der Frage: »Johnny, könntest du das etwas genauer erklären … ich würde wirklich gern etwas darüber erfahren. Ich verstehe einfach nicht, warum es ihn gibt, diesen Krieg.«
    »Warum? Das ist doch keine Frage, Mutti. Wegen des Profits natürlich.« Und er hielt weiter seine Rede und unterbrach sie nur, um sich etwas zu essen in den Mund zu schieben.
    Colin fiel ihm ins Wort: »Einen Moment. Sei doch mal einen Moment still. Hast du mein Buch gelesen? Du hast nichts gesagt.«
    Johnny legte Messer und Gabel hin und sah seinen Sohn streng an. »Ja, ich habe es gelesen.«
    »Und was hältst du davon?«
    Diese Torheit machte Frances, Andrew besonders und auch Julia fassungslos, als hätte Colin beschlossen, einen Löwen, der bislang ganz friedlich gewesen war, mit einem Stock zu stechen. Und was sie befürchteten, geschah. Johnny sagte: »Colin, wenn dich meine Meinung tatsächlich interessiert, dann sage ich sie dir. Aber ich muss da grundsätzlich werden. Die Nebenprodukte eines verrotteten Systems interessieren mich nicht. Und genau das ist dein Buch. Es ist subjektiv, es ist persönlich, es wird kein Versuch unternommen, das Geschehen in eine politische Perspektive zu rücken. Diese ganze Klasse des Schreibens, die sogenannte Literatur, ist nichts als Abfall des Kapitalismus, und Schriftsteller wie du sind Lakaien der Bourgeoisie.«
    »Ach, halt doch die Klappe«, sagte Frances. »Benimm dich doch ausnahmsweise mal wie ein menschliches Wesen.«
    »Wirklich? Wie du dich verrätst, Frances. Ein menschliches Wesen. Was glaubst du wohl, wofür ich und all die anderen Genossen arbeiten, wenn nicht für Menschlichkeit?«
    »Vater« – Colin war ganz weiß geworden und litt sichtlich –, »ich würde gerne wissen, was du von dem Buch hältst, abgesehen von der ganzen Propaganda.«
    Vater und Sohn beugten sich über den Tisch hinweg zueinander hin – Colin wie jemand, dem man mit Schlägen droht, sein Vater wie jemand, der im Recht ist und triumphiert. Hatte er sich in dem Buch wiedererkannt? Wahrscheinlich nicht.
    »Ich habe es dir gesagt. Ich habe das Buch gelesen. Und ich sage dir, was ich denke. Wenn es eine Klasse von Menschen gibt, die ich verabscheue, dann sind das Liberale. Und genau das seid ihr, ihr alle. Ihr seid die Schreiberlinge, die das verfallende kapitalistische System erzeugt.«
    Colin stand auf und ging aus der Küche. Sie hörten, wie er die Treppe hinauftappte.
    Julia sagte: »Jetzt geh, Johnny. Geh einfach.«
    Johnny blieb sitzen, offenbar in Gedanken: Fiel ihm womöglich ein, dass er sich

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