Ein süßer Traum (German Edition)
auch anders hätte benehmen können? Er schaufelte schnell in sich hinein, was noch auf dem Teller lag, kippte sich in den Hals, was noch in seinem Weinglas war, und sagte: »Also gut, Mutti. Du wirfst mich aus meinem Haus.« Er stand auf, und wenig später hörten sie, wie er die Haustür zuschlug.
Sophie war in Tränen aufgelöst. Sie ging hinaus, um nach Colin zu sehen, und sagte: »Ach, das war so
schrecklich
.«
Jill sagte in die Stille hinein: »Aber er ist so ein großer Mann, er ist so wunderbar …« Sie schaute sich um, sah nichts als Leid und Wut und fuhr fort: »Ich glaube, ich gehe jetzt.« Niemand hielt sie zurück. Im Hinausgehen sagte sie: »Vielen Dank für die Einladung.«
Frances machte Anstalten, den Kuchen aufzuschneiden, als Julia, gestützt von Wilhelm, aufstand. »Ich schäme mich so«, sagte sie. »Ich schäme mich so.« Und weinend stieg sie mit Wilhelm die Treppe hinauf.
Andrew und seine Mutter blieben zurück.
Plötzlich fing Frances an, mit den Fäusten auf den Tisch zu schlagen, mit erhobenem Kopf und tränenüberströmt. »Ich bringe ihn um«, sagte sie. »Eines Tages bringe ich ihn um. Wie konnte er das tun? Ich verstehe nicht, wie er das tun konnte.«
Andrew sagte: »Mutter, hör mal …«
Aber Frances sprach weiter, dabei zog sie an ihrem Haar, als wollte sie es ausreißen. »Ich bringe ihn um. Wie konnte er Colin so wehtun? Colin wäre glücklich gewesen, mit einem einzigen kleinen, netten Wort.«
»Mutter, hör doch mal zu. Sei still. Hör zu.«
Frances ließ die Hände sinken, legte die Fäuste auf den Tisch und wartete.
»Weißt du, was du nie verstanden hast? Ich frage mich, wie das kommt. Johnny ist dumm. Er ist ein dummer Mensch. Wie kommt es, dass du das nie gesehen hast?«
Frances sagte: »Dumm.« Sie fühlte sich, als würden die Maße und die Gewichtungen in ihrem Kopf verschoben. Natürlich war er dumm. Aber das hatte sie sich nie eingestanden. Und das lag an dem großen Traum. Nach allem, was sie von ihm erduldet hatte, nach dieser ganzen Scheiße hatte sie sich einfach nie sagen können, dass Johnny dumm war.
Sie beharrte: »Es war so gemein. Es war so brutal …«
»Aber, Mutter, was sind sie denn, wenn nicht brutal? Warum bewundern sie das alles, wenn sie keine brutalen Menschen sind?«
Und dann legte Frances zu ihrer eigenen Überraschung den Kopf auf die Arme, auf den Tisch zwischen das ganze Geschirr. Sie schluchzte. Andrew wartete ab und sah die Tränenströme, die jedes Mal von neuem flossen, wenn er dachte, sie hätte sich erholt. Auch er war jetzt ganz blass, erschüttert. Er hatte seine Mutter nie weinen sehen, hatte nie gehört, dass sie seinen Vater auf diese Weise kritisierte. Ihm war klar gewesen, dass sie Johnny nicht angriff, um ihn und Colin vor dem Schlimmsten zu schützen, aber welchen Ozean an Zornestränen sie zurückgehalten hatte, das hatte er nicht gewusst. Und sie hatte gut daran getan, nicht vor ihnen zu weinen und zu toben, dachte er jetzt. Ihm war schlecht. Immerhin war Johnny sein Vater … und Andrew wusste, dass er seinem Vater in mancher Weise ähnlich war. Johnny würde nie auch nur ein Körnchen des Wissens über sich selbst erlangen, das sein Sohn besaß. Andrew war dazu verdammt, damit zu leben, dass immer ein kritischer Blick auf ihn gerichtet war: Lässig, auch humorvoll wurde er betrachtet – aber es war immer ein Urteil.
Andrew blieb sitzen und drehte sein Weinglas zwischen den Fingern, während seine Mutter weinte. Dann trank er den Wein aus, stand auf und legte seiner Mutter die Hand auf die Schulter.
»Mutter, lass doch das ganze Zeug. Wir kümmern uns morgen früh darum. Und geh zu Bett. Weißt du, es bringt nichts. Er wird immer so sein.«
Er ging hinauf und klopfte an die Tür seiner Großmutter; Wilhelm machte auf und sagte mit lauter Stimme: »Ihre Großmutter hat eine Valium genommen. Sie ist sehr aufgeregt.«
Vor Colins Tür hielt er kurz inne, hörte Sophie singen: Sie sang Colin etwas vor.
Dann warf er einen Blick zu Sylvia hinein. Sie war angezogen in ihrem Bett eingeschlafen, und der junge Mann lag auf dem Fußboden, mit dem Kopf auf einem Kissen. Nicht gerade bequem, aber darüber war er eindeutig hinaus.
Andrew ging in sein Zimmer und steckte sich einen Joint an: Er rauchte Pot in emotionalen Notfällen, dazu hörte er Jazz, meistens Blues. Klassische Musik war für gute Stimmung da. Oder er rezitierte im Kopf alle Gedichte, die er kannte – ziemlich viele –, um sicherzugehen, dass
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