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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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zustand, wie sie es in der Schule gelernt hatte. Sie presste die dünnen Hände zusammen und lächelte ihn an. Dann sagte sie zu Sylvia: »Ich schicke ein paar Jungen, die die Bücher und die Bretter und die Ziegel zur Hütte hinuntertragen. Legen Sie Ihre eigenen Bücher auf das Bett, damit sie die nicht auch mitnehmen.«
    Sie ging hinaus.
    »Wie schade, dass nicht Rebecca dieses arme Land führt, anstelle dieser unfähigen Leute, die wir am Hals haben.«
    »Muss man wirklich glauben, dass ein Land die Regierung bekommt, die es verdient? Ich finde nicht, dass die armen Leute hier diese Regierung verdienen.«
    Pater McGuire nickte und sagte dann: »Haben Sie mal daran gedacht, dass diesen fetten Clowns nur deswegen keiner den Hals abschneidet, weil die
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gern an ihrer Stelle wären und wissen, dass sie das Gleiche tun würden, wenn sie die Möglichkeit hätten?«
    Sylvia sagte: »Glauben Sie das wirklich?«
    »Es gibt nicht umsonst das Gebet: ›Führe uns nicht in Versuchung.‹ Und es gibt das andere, sein Pendant: ›Danke, Gott, dass du mich von dem Übel erlöst hast.‹«
    »Wollen Sie wirklich sagen, dass Tugend nur davon abhängt, ob man in Versuchung gerät?«
    »Ach, Tugend, das ist auch so ein Wort, das ich nicht gern benutze.«
    Als der Priester sah, dass Sylvia den Tränen nahe war, ging er zu einem Schrank und kam mit zwei Gläsern und einer Flasche gutem Whisky zurück, den sie mitgebracht hatte. Er schenkte großzügig zwei Gläser ein, nickte ihr zu und trank seins aus.
    Sylvia betrachtete die goldene Flüssigkeit, die im Lampenlicht Muster bildete, einen reichhaltigen, öligen Wirbel, der in einem bernsteinfarbenen Teich versank. Sie nahm einen kleinen Schluck. »Ich denke manchmal, dass ich Alkoholikerin werden könnte.«
    »Nein, Sylvia, das können Sie nicht.«
    »Ich verstehe, warum man früher Sundowner getrunken hat.«
    »Wieso früher? Die Pynes trinken ihren Sundowner auf die Minute pünktlich.«
    »Wenn die Sonne sinkt, stelle ich mir vor, dass ich eine ganze Flasche leer trinken könnte. Es ist so traurig, wenn die Sonne untergeht.«
    »Es ist die Farbe am Himmel, die uns an die Pracht des Herrn erinnert, von der wir ausgeschlossen sind.« Sie war überrascht: Für so etwas war er normalerweise nicht zu haben. »Wie oft habe ich mich nicht aus Afrika weggesehnt, aber ich muss nur zuschauen, wie die Sonne über diesen Hügeln untergeht, und würde für nichts in der Welt weggehen.«
    »Wieder ein Tag vorbei und nichts erreicht«, sagte Sylvia. »Nichts verändert.«
    »Aha, dann wollen Sie die Welt verändern, immerhin.«
    Damit sprach er einen sensiblen Bereich an. Sie dachte: Vielleicht ist Johnnys Unsinn in mich eingedrungen und hat mich verdorben. »Wie kann man sie nicht verändern wollen?«
    »Wie kann man nicht wollen, dass sie anders wäre? Aber sie selbst verändern wollen – nein, da steckt der Teufel drin.«
    »Und wer kann das abstreiten, nach dem, was wir gelernt haben?«
    »Wenn Sie das gelernt haben, dann sind Sie schon weiter als die meisten anderen. Aber der Traum ist zu mächtig, als dass er seine Opfer gehen ließe.«
    »Pater, als Sie ein junger Mann waren – wollen Sie mir erzählen, dass es Sie nie überkam, auf der Straße zu schreien und Steine nach den Brits zu werfen?«
    »Sie vergessen, dass ich ein armer Junge war. Ich war so arm wie manche von den Leuten unten im Dorf. Es gab nur einen Ausweg für mich. Es gab immer nur eine Richtung. Ich hatte keine Wahl.«
    »Ja, ich kann Sie mir eigentlich nur als Priester vorstellen, von Natur aus.«
    »Das stimmt – keine Wahl bis auf die eine.«
    »Aber wenn ich höre, wie Schwester Molly redet und redet, wenn sie kein Kreuz auf der Brust hätte, würde man nicht merken, dass sie Nonne ist.«
    »Haben Sie je daran gedacht, dass es für arme Mädchen in Europa nur eine Wahl gegeben hat? Sie sind Nonnen geworden, um ihren Familien die Kosten für ihre Ernährung zu ersparen. Also wurden die Klöster vollgestopft mit jungen Frauen, die besser damit gefahren wären, eine Familie zu gründen oder – oder jede beliebige andere Arbeit zu tun. Schwester Molly wäre vor fünfzig Jahren in einem Kloster verrückt geworden, denn sie hätte dort nichts zu suchen gehabt. Aber jetzt – wussten Sie das? – hat sie zu ihren Vorsteherinnen gesagt: Ich verlasse das Kloster und werde weltliche Nonne. Und ich gehe davon aus, dass sie sich eines Tages sagt: Ich bin keine Nonne. Ich war nie Nonne. Und dann verlässt sie eben

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