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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Hause gefahren?«
    »Wie denn, wenn sie hier war?«
    »Wie alt war sie, als sie nach London kam?«
    »Zwanzig, glaube ich.«
    »Was?«
Er hielt sich beide Hände vor den Mund, dann ließ er sie wieder sinken und sagte: »Zwanzig. So alt bin ich auch. Und manchmal denke ich, ich habe noch nicht einmal gelernt, mir die Schuhe zuzubinden.«
    Schweigend stellten sie sich eine sehr junge Julia vor.
    Frances sagte: »Auf ihrem Hochzeitsfoto trägt sie einen Hut, der so vollgepackt mit Blumen ist, dass man ihr Gesicht kaum sieht.«
    »Kein Schleier?«
    »Kein Schleier.«
    »Mein Gott, da kommt sie hierher, ganz allein, zu uns kalten Engländern. Wie war Großvater?«
    »Ich habe ihn nicht kennengelernt. Sie haben nicht viel von Johnny gehalten. Und von mir wohl auch nicht.« Als müsste sie eine Rechtfertigung für diese Ungeheuerlichkeit anführen, fuhr sie fort: »Weißt du, es war der Kalte Krieg.«
    Er hatte jetzt die Arme auf dem Tisch übereinandergeschlagen und stützte sich darauf. Stirnrunzelnd starrte er sie an, versuchte zu verstehen. »Der Kalte Krieg«, sagte er.
    »Lieber Gott«, sagte sie betroffen, »natürlich, ich habe vergessen, dass auch meine Eltern nichts von Johnny hielten. Sie haben mir sogar einen Brief geschrieben, in dem stand, dass ich eine Feindin meines Landes bin. Eine Verräterin – ja, ich glaube, das haben sie geschrieben. Dann haben sie es sich noch einmal überlegt und mich besucht – als du und Colin noch winzig klein wart. Johnny hat sie den Ausschuss der Geschichte genannt.« Sie war den Tränen nahe – aus erinnerter Verzweiflung.
    Er hob die Augenbrauen, sein Gesicht schien mit dem Lachen zu kämpfen, verlor, und dann saß er da und wedelte mit den Armen, als wollte er das Gelächter abstellen. »Es ist so komisch«, sagte er.
    »Ja, wahrscheinlich ist das komisch.«
    Er ließ den Kopf auf die Arme sinken, seufzte und verharrte eine Weile so. Ohne den Kopf zu heben, sagte er: »Ich glaube einfach nicht, dass ich genug Energie habe, um …«
    »Energie wofür?«
    »Wo habt ihr sie nur alle her, diese Zuversicht? Glaub mir, ich bin vergleichsweise sehr zerbrechlich. Vielleicht bin ich ein Ausschuss der Geschichte?«
    »Was? Wie meinst du das?«
    Er hob den Kopf. Sein Gesicht war rot, und er hatte Tränen in den Augen. »Ach, egal.« Wieder wedelte er mit den Händen, als wollte er üble Gedanken zerstreuen. »Weißt du was, ich hätte jetzt Appetit auf dein Festessen.«
    »Hast du kein Weihnachtsessen bekommen?«
    »Phyllida ist durchgedreht. Sie hat geweint und geschrien und ist in Ohnmacht gefallen, immer abwechselnd. Weißt du, sie ist wirklich ziemlich verrückt. Ich meine, im Ernst.«
    »Ja.«
    »Julia sagt, es liegt daran, dass ihre Eltern sie weggeschickt haben, nach Kanada, zu Beginn des Krieges. Offenbar war sie unglücklich, es war keine besonders nette Familie. Und als sie nach Hause kam, war sie ein Wechselbalg, haben ihre Eltern gesagt. Sie haben sich kaum wiedererkannt. Sie war zehn, als sie wegging, und fast fünfzehn, als sie wiederkam.«
    »Dann würde ich sagen, arme Phyllida.«
    »Ja, wahrscheinlich. Und schau dir an, was sie mit Genosse Johnny für Händel hat.« Er zog das Tablett zu sich hin, stand auf, um sich Löffel, Messer und Gabel zu holen, und setzte sich. Gerade hatte er den Löffel in die Suppe getaucht, als die Haustür schlug und die Tür hinter ihnen geräuschvoll aufging. Colin kam herein und brachte kalte Luft mit, eine Ahnung von der Dunkelheit draußen, und ein trauriges Gesicht, das wie ein Vorwurf an sie beide war.
    »Sehe ich da was zu essen? Wirklich was zu essen?«
    Er setzte sich und machte sich mit dem Löffel, den Andrew gerade geholt hatte, über die Suppe her.
    »Hast du kein Weihnachtsessen bekommen?«
    »Nein. Sophies Ma hat ihren Jüdischen bekommen und gefragt, was Weihnachten mit ihr zu tun hat. Dabei haben sie immer Weihnachten gefeiert.« Er war mit der Suppe fertig. »Warum kochst du nicht so was?«, sagte er vorwurfsvoll zu Frances. »Das ist doch mal eine Suppe.«
    »Was meinst du, wie viele Wachteln müsste ich für jeden von euch kochen, bei eurem Appetit?«
    »Warte mal kurz«, sagte Andrew. »Wir wollen doch fair bleiben.« Er holte zwei Teller, einen für Colin und einen für sich, und noch ein Messer und eine Gabel. Dann nahm er eine Wachtel und legte sie auf seinen Teller.
    »Die muss man erst heiß machen«, sagte Frances.
    »Ach was, schmeckt auch so. Köstlich.«
    Sie aßen um die Wette. Als sie mit den Wachteln

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